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  • AutorenbildWalter Gasperi

Honeyland

Aktualisiert: 11. Feb. 2020


Der Alltag einer Wildimkerin in einem verlassenen Bergdorf Nordmakedoniens wird empfindlich gestört, als sich in der Nachbarschaft eine Familie niederlässt, die die Bienen rücksichtslos ausbeutet. Bildstark, aber ziemlich einfach gestrickt stellen Tamara Kotevska und Ljubomir Stefanov in ihrem vielfach preisgekrönten Dokumentarfilm achtsames Leben und profitorientiertes Denken und dessen Folgen einander gegenüber.


Zwei Oscar-Nominierungen, zahlreiche Auszeichnungen auf Festivals und teils hymnische Rezensionen eilen dem ersten langen Dokumentarfilm von Tamara Kotevska und Ljubomir Stefanov voraus. Das schraubt die Erwartungen in die Höhe, doch können diese auch erfüllt werden?


Mit einer großartigen Totale einer kargen Hochebene, durch die Hatidze Muratova, die letzte Wildimkerin Europas, schreitet, beginnt „Honeyland“. An einem steilen Hang prüft sie in einer Felsspalte eine Bienenwabe. Immer nur die Hälfte des Honigs nimmt sie, die andere Hälfte überlässt sie den Bienen.


Allein lebt die Mittfünfzigerin mit ihrer über 80-jährigen, kranken und fast blinden Mutter in einem Bergdorf, aus dem alle anderen Bewohner längst weggezogen sind. Weder fließendes Wasser noch Strom gibt es hier. Liebevoll kümmert sie sich um ihre Mutter und durch das Spiel von Licht und Farben erzeugen Kotevska und Stefanov in den Innenszenen eine Stimmung, die an Gemälde von Rembrandt erinnert.


In berauschenden Bildern, in denen das Gelb des Honigs immer wieder wie Gold leuchtet, schildert das Regie-Duo, das Hatidze drei Jahre lang mit der Kamera begleitete, kommentarlos und abgesehen vom Ende ohne Musik dieses achtsame Leben in Einklang mit der Natur. Nur einmal folgt man der Imkerin auf dem Weg in die Hauptstadt Skopje mit der vielbefahrenen Stadtautobahn und dem lärmigen Markt, auf dem Hatidze ihren Honig verkauft.


Bewegung kommt in dieses einfache und karge, aber in sich ruhende Leben als eine nomadisierende türkische Familie mit sieben Kinder sich in unmittelbarer Nachbarschaft niederlässt. Nicht nur Motorenlärm, batteriebetriebenes Radio und Kindergeschrei ist nun an der Tagesordnung, sondern rüde und rau ist auch der Umgangston innerhalb der Familie und immer wieder werden den Kindern Schläge angedroht.


Freut sich Hatidze zunächst noch über den Kontakt zu den Kindern, so sieht sie bald ihr Leben bedroht, als deren Vater, der im Grunde Viehzüchter ist, auch mit der Honigproduktion beginnt und auf Drängen eines Händlers dabei immer rücksichtsloser die Bienen ausbeutet, die aus Nahrungsmangel bald beginnen Hatidzes Bienen anzugreifen und zu verdrängen.


Wie man sich bei dieser sich zuspitzenden Konfrontation ständig fragt, wo hier Dokumentation endet und Inszenierung beginnt, wenn sich die Familie bei ihren heftigen Streiten filmen lässt, oder die Kamera dabei ist, wenn ein Baum, in dem Hatidzes Bienen eine neue Zufluchtsstätte gefunden haben, abgesägt wird, so ist die Gegenüberstellung insgesamt doch sehr grob gestrickt.


Da ist auf der einen Seite nicht nur das achtsame und leise Leben Hatidzes und auf der anderen das laute und ausbeuterische des Patriarchen Hussein, sondern es wird eben auch der Fürsorge Hatidzes für die Mutter die Lieblosigkeit in Husseins Familie, die im Gegensatz zur Wildimkerin auch ständig von den Bienen gestochen werden, gegenübergestellt.


So interessant auch der Ansatz ist, im engen Raum dieser nordmazedonischen Berglandschaft das globale Problem der verheerenden Folgen eines rein am Profit orientierten Wirtschaftsdenkens auf Mensch und Natur zu schildern, so wenig differenziert und holzschnittartig erfolgt dies doch hier.


Dazu kommt auch, dass durch die bruchstückhafte Erzählweise vieles unklar bleibt. Weder erfährt man genauer, wieso die Familie plötzlich auftaucht – sie scheint einfach von Ort zu Ort zu ziehen -, noch welche Funktion ein kurzer Besuch auf einem Jahrmarkt hat. Völlig unklar bleibt auch, wieso Husseins Rinder plötzlich verenden und seltsam mutet es – trotz der Abgeschiedenheit des Dorfes - an, wenn Hatidze ihre Mutter nach deren Tod scheinbar selbst begräbt, ohne dass Arzt oder Behörden hinzugezogen werden.


Fotogen ist zwar, wie sich die begleitende Beobachtung vom Sommer in den Winter zieht und Dorf und Berglandschaft schließlich von Schnee bedeckt sind, doch auch hier ist der dahinter stehende Gedanke einer Entwicklung von der archaischen Idylle zur zerstörten Welt, in der die Mutter stirbt und die die Familie verlässt und weiterzieht, um anderswo Schaden anzurichten, zu aufdringlich präsent.


Die Inszenierung wird aber auch in der Zeitstruktur sichtbar, denn die begleitende Beobachtung erweckt den Eindruck, dass sich der ganze Film während eines Jahres abspielt, während doch über drei Jahre gefilmt wurde. Im Spielfilm sind solche gestalterischen Eingriffe durchaus legitim und alltäglich, im Dokumentarfilm, gerade wenn er vorgibt unvoreingenommen Realität abzubilden, scheint dies aber doch problematisch.


Trotz dieser Einwände ist „Honeyland“ freilich insgesamt kein schlechter Dokumentarfilm, begeistert er doch mit seiner Bildkraft und einer starken Protagonistin, ein Meisterwerk sollte man aber nicht erwarten.


Läuft derzeit im Kinok St. Gallen

Spielboden Dornbirn: So 8.3., 19 Uhr (Eröffnung des HUMAN VISION film festival)

Leinwandlounge in der Remise Bludenz: Mi 27.5., 19 Uhr


Trailer zu "Honeyland"



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