Claire Denis schickt eine Gruppe von Häftlingen auf eine Weltraummission. Mit herkömmlicher Science-Fiction hat der ruhig-meditative Trip aber wenig zu tun, sondern kreist vielmehr um menschliche und philosophische Fragen.
Der wuchernde, leuchtend-grüne Obst- und Gemüsegarten, der regelmäßig automatisch bewässert wird, erinnert an Douglas Trumbulls Science-Fiction-Film „Lautlos im Weltall“ (1972). In scharfem Kontrast steht diese Oase der Natürlichkeit zu den kalten und ziemlich verdreckten Gängen des Raumschiffs.
Aber nicht nur Natur und Technik stellt Claire Denis hier einander gegenüber, sondern auch dem geschlossenen Raum die unendliche Weite des Weltalls. Ein weiterer Gegensatz kommt mit dem ersten Auftreten von Menschen ins Spiel. Denn auf der einen Seite haben wir hier den erfahrenen Mann Monte (Robert Pattinson), auf der anderen Seite das weibliche Baby Willow, das erst unter Anleitung Montes, seines Vaters, erste Worte und erste Schritte, aber auch, was Tabu ist, lernen muss.
Unvermittelt lässt die 72-jährige Französin ihren ersten Science-Fiction-Film, der gleichzeitig auch ihr erster englischsprachiger Film ist, einsetzen. Erst langsam klärt sich in bruchstückhaften Rückblenden, was es mit diesem Mann und diesem Kind auf sich hat, wie sie in den Weltraum kamen.
Im Zentrum steht dabei Monte. In kurzen Flashbacks und teilweise auch mit Voice-over erinnert er sich an sein Leben als Herumtreiber und Verbrecher auf der Erde, von seiner Erinnerung losgelöst, ist aber eine Szene, in der auf einer Zugfahrt, ein Philosoph gegenüber einer Journalistin seine Bedenken darüber äußert, dass nun zum Tode Verurteilte auf eine Mission im Weltraum geschickt werden, um zu prüfen, ob die Energie eines Schwarzen Loches für die Erde genutzt werden kann. Auch durch die verwaschenen Farben und grobkörniges Bild sind diese Szenen vom restlichen Film abgehoben.
Dass es weitere Mitglieder der Besatzung gab, wird schon in der Pre-Title-Sequenz klar, wenn Monte seine toten Gefährten im All entsorgt. Wie diese im schwarzen Nichts hängen ist eines der vielen magischen Weltraumbilder (Kamera: Yorrick Le Saux und Tomasz Naumiuk) dieses sehr meditativen Science-Fiction-Films, der auch durch das starke Sounddesign und die Musik von Tindersticks, die bei beinahe jedem Film von Denis für den Soundtrack verantwortlich zeichnen, eine ganz eigene ruhige, aber hypnotische Atmosphäre entwickelt.
Diese Weltraumbilder, die mit dem Schwarzen Loch und kreisenden Meteoriten wohl ganz gezielt Assoziationen an Eizelle und Sperma wecken sollen, führen aber auch wieder zu Denis´ zentralen Themen und ins Innere des Raumschiffs zurück. Die offizielle Mission mag zwar sein, eine Energiequelle zu suchen, doch die Ärztin Dibs (Juliette Binoche) bemüht sich vor allem um die Zeugung eines Weltraumbabys. Dazu benutzt sie die Männer als Samenspender und befruchtet anschließend die Frauen gegen ihren Willen.
Ihr eigenes sexuelles Verlangen lebt sie in einer ziemlich irren Szene an einer Sex-Maschine in einem schalldichten Raum aus. Kalte Technik und menschliches Begehren treffen so aufeinander, gleichzeitig löst das Begehren aber auch wieder Gewalt aus, in dessen Verlauf sich die Mannschaft gegenseitig zerfleischt. Dieser animalischen Triebhaftigkeit des Menschen steht aber wieder die Zärtlichkeit Montes, der sich den Versuchen entzieht und zölibatär lebt, im Umgang mit dem Baby gegenüber, das er nur missbraucht und betrogen durch die manipulative Ärztin zeugte.
Um Nichts weniger als um die Erkundung des Menschseins geht es Denis so. Wie das Raumschiff im endlosen All verloren wirkt, löst sie dazu die Narration auf, wechselt fließend zwischen Gegenwart und Rückblenden, formuliert Szenen nicht breit aus und springt am Ende mit Willow als Teenager auch rund 15 Jahre in die Zukunft.
Statt stringent eine Geschichte erzählen, benützt die Französin die im Raumschiff isolierte Besatzung als Versuchsanordnung, erkundet wie in diesem klaustrophobischen Raum das Innerste durchbricht und gesellschaftliche Tabus – nicht zufällig das erste Wort, das Monte Willow beibringt – überschritten werden. Die äußere Reise ins All wird so zum Bild für eine Reise ins Innere des Menschen und der Aufbruch ins gleißende Weiss mit der letzten Einstellung ist vielleicht auch ein Bild für die Überschreitung letzter gesellschaftlicher Grenzen.
Läuft derzeit im Cinema Dornbirn
Trailer zu "High Life"
Comments