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  • AutorenbildWalter Gasperi

Green Book


In Peter Farrellys von einer wahren Geschichte inspiriertem Roadmovie muss ein Italoamerikaner in den frühen 1960er Jahren einen afroamerikanischen Pianisten durch die rassistischen Südstaaten chauffieren. Hinreißend gespieltes Buddy-Movie und Rassismuskritik fügen sich zu einer runden und sehr unterhaltsamen, aber auch sehr zahmen Dramödie, die den beiden Hauptdarstellern Viggo Mortensen und Mahershala Ali eine große Bühne bietet.


Der Titel "Green Book" bezieht sich auf das zwischen 1936 und 1966 jährlich erschienene "The Negro Motorist Green Book". Dieser Reiseführer listete Restaurants und Hotels auf, die Afroamerikaner in den USA während der Rassentrennung besuchen durften oder ausschließlich für sie vorgesehen waren.


Nach diesem Buch plant auch der italoamerikanische Fahrer Tony Lip (Viggo Mortensen) seine Reise mit dem afroamerikanischen Pianisten Don Shirley (Mahershala Ali) - eine Konstellation wie man sie seit Stanley Kramers „Flucht in Ketten“ in Filmen über den Rassismus kennt - durch den Süden der USA. Nachdem Lip seinen Job als Türsteher in einem New Yorker Club verloren hat, kann er das Angebot Shirleys ihn zu fahren, kaum ausschlagen, muss er doch eine Frau und zwei Kinder ernähren.


Seine Abneigung gegen Afroamerikaner wurde dabei schon zuvor in einer kleinen Szene deutlich, in der er die Gläser, aus denen zwei schwarze Arbeiter, die den Boden in seiner Wohnung renovierten, tranken, nicht abwäscht, sondern gleich im Mülleimer entsorgt. Mit Lip und Shirley treffen aber nicht nur zwei Ethnien, sondern auch zwei ganz unterschiedliche Charaktere und soziale Schichten aufeinander.


Während Lip der rauen Arbeiterschicht angehört, Unmengen an Hot Dogs und Pizza in sich hineinstopfen kann, eine freche Schnauze hat und ständig redet, ist Shirley ausgesprochen kultiviert, hat klassische Musik in Leningrad studiert und wird von der weißen Oberschicht immer wieder zu Konzerten eingeladen. Dazu kommen die Unterschiede in den sozialen Beziehungen, denn während Shirley quasi in einem kostbar ausgestatteten Elfenbeinturm allein über der Carnegie Hall wohnt, hat Tony in seiner kleinen Wohnung ständig Freunde und Familie um sich.


Wie prädestiniert sind solche Gegensätze für ein Buddy-Movie und bieten Viggo Mortensen und Mahershala Ali viel Raum sie auszuagieren, aber auch sich näher zu kommen. – Und Farrelly lässt seinen Stars auch diesen Raum. Da darf Shirley Tony nicht nur immer wieder maßregeln, sondern ihm auch eine geschliffenere Sprache beibringen und bei den Briefen an seine Frau helfen. Im gewissen Sinne wird so auch eine Pygmalion-Geschichte erzählt, aber im Zentrum steht doch die Veränderung des Blicks von Tony – und damit auch des Zuschauers - auf seinen Boss und seinen zunehmend klareren Einblick in dessen Diskriminierung durch die weiße Bevölkerung.


Genau arbeitet Farrelly, der in den 1990er Jahren zusammen mit seinem Bruder Bobby mit derben Komödien wie "Dumm und Dümmer" oder "Verrückt nach Mary" Erfolge feierte, heraus, wie die weiße Oberschicht den afroamerikanischen Musiker einerseits hofiert und ihm applaudiert, ihn andererseits aber, je weiter er in den Süden kommt, desto mehr ausgrenzt. Da soll er zwar in einer Villa ein Konzert geben, aber auf die Toilette darf er im Haus nicht, sondern soll das Plumpsklo im Garten benützen. Kein Zufall ist es auch, dass sich die Handlung vom Spätherbst auf Weihnachten hin entwickelt. Die Weihnachtsbotschaft kommt so am Ende zwar nicht in einem Restaurant an, in dem Shirley zwar auftreten soll, aber nicht essen darf, wohl aber schließlich bei Tonys Familie, in der der Afroamerikaner gern zum Festessen aufgenommen wird.


Geradlinig und rund ist das inszeniert, strukturiert durch die Stationen der Reise, die von New York über Indiana und Georgia bis Louisiana und Alabama führt. Mit sorgfältiger Ausstattung und Kostümen lässt Farrelly den Zuschauer in die 1960er Jahren eintauchen und sorgt auch mit viel Musik für Schwung und gute Stimmung. Denn so genau auch der Blick auf den Rassismus ist, wirklich wehtun will "Green Book" niemandem. Da wird zwar kritisiert, aber immer wieder lösen sich Szenen in Wohlgefallen auf und einer rassistischen Polizeiaktion wird am Ende bezeichnenderweise auch ein hilfsbereiter Polizist gegenübergestellt.


Verharmlost wird so zweifellos eine harte historische Realität und kritisiert wurde der Film nicht nur von Shirleys letztem noch lebendem Bruder. Nicht nur die Verfälschung der Beziehung zwischen dem Pianisten und dem Fahrer wird "Green Book" vorgeworfen, sondern auch, dass der Film ganz auf die Wandlung des proletarischen und rassistischen Fahrers fokussiert ist, der schwarze Pianist dagegen nur eine Nebenrolle spiele und Mahershala Ali folglich auch nur als bester Nebendarsteller für den Oscar nominiert wurde.


Dennoch ist vielleicht gerade der Blick auf diese Figur das wirklich spannende und ungewöhnliche an "Green Book". Denn hier sieht man eben mal keinen afroamerikanischen Bluesmusiker, sondern einen, der sich durch die klassische Musik von seiner Community entfernt hat, für die weiße Oberschicht aber Unterhaltungsmusik spielen soll. Viel besser als den afroamerikanischen Feldarbeitern, die erstaunt blicken, als bei einer Panne der weiße Tony für seinen schwarzen Boss den türkisen Cadillac repariert, scheint es ihm zu gehen, doch seine Position bezahlt er mit Einsamkeit und der demütigenden Widersprüchlichkeit des Verhaltens der Weißen, die ihn einerseits hätscheln, andererseits ausgrenzen.


Mit seiner schon masochistischen Tour durch die Südstaaten der USA will er – entsprechend dem Titel einer seiner Platten – wohl wie Orpheus den Gott der Unterwelt sein weißes Publikum allein durch seine Musik zum Umdenken bewegen. – Ein hoffnungsloses und erfolgloses Unternehmen, aber zumindest bei seinem Fahrer und beim Kinopublikum kann dieses warmherzige Plädoyer für Überwindung von Rassismus und Vorurteile und offenes Zugehen auf den anderen doch etwas in Bewegung setzen.

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