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AutorenbildWalter Gasperi

Filmbuch: Dokumentarfilm in Deutschland – Von den Anfängen bis zur Gegenwart

Peter Zimmermann zeichnet auf 400 Seiten in sieben Kapiteln die Geschichte des Dokumentarfilms in Deutschland nach: Ein Standardwerk, das meisterhaft gesellschaftlichen Hintergrund und filmische Entwicklung verbindet und trotz der Fundiertheit immer gut lesbar und spannend bleibt.


Peter Zimmermann ist ein ausgewiesener Kenner des deutschen Dokumentarfilms. Von 1992 bis 2006 war der Literatur- und Medienwissenschaftler Wissenschaftlicher Leiter am Haus des Dokumentarfilms (HDF) in Stuttgart und zwischen 1999 und 2006 Leiter des Forschungsprojekts "Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland 1895 – 1945" sowie Herausgeber der gleichnamigen dreibändigen Filmgeschichte.


Mit "Dokumentarfilm in Deutschland – Von den Anfängen bis zur Gegenwart", das von der Bundeszentrale für Politische Bildung herausgegeben wurde, hat Zimmermann nun ein umfassendes Standardwerk zum Thema geschaffen, das mit einem Preis von 7 Euro zudem unschlagbar preiswert ist.


Chronologisch zeichnet der Autor in stringentem Aufbau die Entwicklung des Dokumentarfilms nach und bettet die filmischen Strömungen dabei immer bestechend in den politisch-gesellschaftlichen Hintergrund ein (Inhaltsverzeichnis und Leseprobe). So vermittelt das Buch gleichzeitig einen starken Eindruck von den gesellschaftlichen Stimmungen und Entwicklungen in Deutschland.


Eindrücklich arbeitet Zimmermann dabei auch heraus, wie die filmischen Formen über die wechselnden gesellschaftlichen Systeme hinweg unverändert blieben. Einschneidender waren hier medientechnische Entwicklungen, wie die Einführung des Tonfilms ab 1930 oder der Synchrontonkamera um 1960 oder der Digitalisierung ab der Jahrtausendwende, aber auch das Aufkommen des Fernsehens, das das Kino als Ort des Dokumentarfilms ablöste, und die Öffnung für das kommerzielle Fernsehen, das zu stärkerer Publikumsorientierung der Sendungen der öffentlich-rechtlichen Sender führte.


Das Spannungsfeld von Abbildung und Narration im frühen Dokumentarfilm, der neben touristischen Städte- und Landschaftsbildern vor allem Industrie- und Kolonialfilme, die die Segnungen der Kolonialherrschaft für die indigenen Völker propagieren sollten, thematisiert der Autor ebenso wie den Einsatz des Dokumentarfilms zur Propaganda im Ersten Weltkrieg. Erst spät entdeckte dagegen die SPD die Möglichkeiten des neuen Mediums zur Gesellschaftskritik.


Eindrücklich zeigt Zimmermann beim Weimarer Kino auf, wie in einem Kulturfilm wie "Der Hirschkäfer" schon der Kern der NS-Propaganda enthalten ist, bietet aber auch Einblick in die sozialkritische Filmproduktion und die avantgardistischen Filme der Neuen Sachlichkeit.


Das Bild vom Film im Dritten Reichs als einem reinen Propagandakino bricht der Autor mit dem Blick auf Städte-, Reise- und Kolonialfilme sowie formal innovative Industriefilme, die allerdings vor allem die Stahlindustrie und die Entwicklung von Arbeitslosigkeit zu Vollbeschäftigung durch Hitler feierten.


Dem innovativen Kamerastil einer Leni Riefenstahl, aber auch der Wochenschauen stellt Zimmermann den menschenverachtenden und rassistischen Inhalt dieser Filme gegenüber und zeigt auf, dass die Kriegsdokumentarfilme weniger auf den Feindbildaufbau als vielmehr auf die Verherrlichung der deutschen Soldaten und der Luftwaffe abzielten.


Im Gegensatz dazu zielte der Nachkriegsdokumentarfilm im Westen wie im Osten auf jeweils gegenseitigen Feindbildaufbau ab, aber auch die Kontinuität der Filmschaffenden, die vielfach ungebrochen ihre Karrieren fortsetzen konnten, wird herausgearbeitet. Einblick in die neue Form der Fernsehreportage wird ebenso geboten wie in die Schwierigkeiten einer kritischen Berichterstattung in der konservativen Adenauer-Zeit im Westen und im sozialistischen Einheitsstaat im Osten.


Ausführlich widmet sich der Autor der Wende zum kritischen Dokumentarfilm ab den 1960er Jahren in der BRD mit Thematisierung der Arbeitsverhältnisse sowie Porträt-, Gesprächs- und Interviewfilmen, Filmen der Frauenbewegung und Kampagnenfilmen der Alternativ- und Ökologiebewegungen. Aber auch die Entwicklung vom anwaltschaftlichen Dokumentarfilm zu essayistischen Formen, die sich mit der Bildproduktion und der eigenen Familiengeschichte auseinandersetzen, wird nachgezeichnet.


Nicht weniger differenziert und ausführlich arbeitet Zimmermann aber auch die Entwicklung in der DDR heraus, in der das Fernsehen als zentrales Propagandamittel gesehen wurde und kaum kritische Blicke möglich waren. Als bedeutende Chroniken der Mental- und Alltagsgeschichte werden dabei vor allem die beiden großen Langzeitbeobachtungen "Die Kinder von Golzow" von Winfried und Barbara Junge und "Wittstock-Zyklus" von Volker Koepp vorgestellt.


Im Abschnitt über die Zeit von der "Wende" und Wiedervereinigung bis zur Gegenwart werden schließlich der Wiedervereinigungs-Euphorie im Fernsehen die Desillusionierung im Dokumentarfilm gegenübergestellt und die Blüte von Dokudramen, mit denen speziell das öffentliche Fernsehen Information und Unterhaltung bieten wollte, sowie die Flut an Docutainmen-Formaten wie Reality-TV und Doku-Soaps vorgestellt.


Aber auch die Schwierigkeiten des Dokumentarfilms in einer Zeit, in der journalistische Formate mehr gefragt sind als lange Dokumentarfilme und TV-Redaktionen bei der Filmentstehung vermehrt mitreden, werden dargestellt. Andererseits vermittelt die Präsentation einer Fülle von Porträtfilmen sowie der bildgewaltigen Arbeiten von Nikolaus Geyrhalter und Michael Glawogger, kolonial- und imperialismuskritischen Filmen wie Hubert Saupers "Darwin´s Nightmare" sowie zu Themen wie Flüchtlingspolitik, Nahrungsmittelverschwendung ("Taste the Waste"), Gentechnologie, Klimawandel und Veränderung der Arbeitswelt ("Hard Work, Hard Play")  einen starken Eindruck von der Vielfalt des aktuellen gesellschaftskritischen Dokumentarfilms.


Hybride Formen durch die "Camcorder Revolution" und das Internet und Animadoks werden ebenso thematisiert wie die Gefahren der Hetze im Internet und der Überwachung, die beispielsweise Laura Poitras Oscar gekrönter "Citizenfour" thematisiert.


Abgerundet wird das auch sehr gut bebilderte Buch neben einem Film- und Personenregister, einem Abkürzungsverzeichnis und einem Glossar zu filmtechnischen Begriffen durch ein Literaturverzeichnis, das mit seinen rund 400 aufgeführten Titeln eindrücklich belegt, wie fundiert und akribisch Peter Zimmermann bei dieser herausragenden Darstellung der Geschichte des Dokumentarfilms in Deutschland gearbeitet hat.



Peter Zimmermann, Dokumentarfilm in Deutschland. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2022, 398 S., € 7, ISBN 978-3-8389-7206-0

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