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  • AutorenbildWalter Gasperi

Filmbuch: Der chinesische Film


Im dritten Band der im Münchner Verlag edition text + kritik erscheinenden Reihe "Filmgeschichte kompakt" bietet der Medienwissenschaftler und Sinologe Stefan Kramer einen Überblick über die Geschichte des chinesischen Films.


Nach dem japanischen Film und dem Film im Nationalsozialismus fokussiert die neue Filmbuchreihe des Verlags edition text + kritik auf dem Filmschaffen im Reich der Mitte. Autor ist mit Stefan Kramer ein ausgewiesener Experte, der schon 1997 mit der im Metzler Verlag erschienenen "Geschichte des chinesischen Films" ein Standardwerk zum Thema schrieb.


Der Reihentitel "Filmgeschichte kompakt" macht schon deutlich, dass keine ausladende Darstellung, sondern gerafft ein Überblick geboten werden soll. Auf 150 Seiten spannt Kramer so in einem Vorwort und fünf Kapiteln den Bogen über 120 Jahre.

Angesichts der Tatsache, dass der chinesische Film erst ab Mitte der 1980er Jahre mit Regisseuren wie Chen Kaige und Zhang Yimou internationale Aufmerksamkeit erlangte, widmet sich der Autor überraschend ausführlich den früheren Zeiten. Rund zwei Drittel des Buches nimmt diese wenig bekannte Phase ein, bei der Kramer den Weg vom "Abendländischen Schattenspiel: Kolonialer Einfluss und kultureller Wandel (1896 – 1919)" über "Elektrische Schatten: Attraktionen von Technik und Gesellschaft (1920 – 1949)" bis zur "Massenkultur: Postkolonialismus und ideologische Erziehung (1949 – 1978)" nachzeichnet.


Eindrücklich arbeitet Kramer heraus, dass in allen Perioden der Film in China eine zentrale Rolle beim "Nation Buildung", also beim Schaffen eines nationalen Gefühls spielte. Dies zieht sich vom verschollenen ersten Spielfilm "Unschuldiger Geist in der Opiumhöhle" (1916) bis zu Zhang Yimous "House of Flying Daggers" (2004) und "Der Fluch der goldenen Blume" (2006) durch die Geschichte.


Kramer bietet Einblick in den Film als Mittel zur Speicherung von Pekingopern und Dramen am Beginn der Filmgeschichte ebenso wie in das aufblühende soziale und linke Kino in den 1930er und 1940er Jahren. Mit detaillierten Filmbeschreibungen wird dabei immer wieder Lust auf diese weitgehend unbekannten Filme geweckt. Gerne würde man so beispielsweise das dreistündige epische Drama "Ein Frühjahrsstrom fließt nach Osten" (1947) sehen, das mit "Gone With the Wind" verglichen wurde, oder "Göttin" (1934) mit dem chinesischen Superstar Ruan Lingyu, die sich noch vor ihrem 25. Geburtstag das Leben nahm.


Der Freiheit der Zwischenkriegszeit steht die Negation jedes individuellen Freiraums für Künstler und Publikum und des Eigenwerts der Künste in der Zeit nach der Gründung des kommunistischen Chinas (1949) gegenüber. Nicht nur Einblick in den nahezu völligen Zusammenbruch der chinesischen Filmproduktion in dieser Zeit bietet Kramer, sondern stellt auch anhand detaillierter Beschreibungen von Filmen wie "Das weißhaarige Mädchen" (1950) oder "Das rote Frauenbataillon" (1960) dar, wie die jeweiligen Direktiven der Politik nach Propagierung des Ursprungsmythos der kommunistischen Befreiung Chinas und Orientierung am Massengeschmack umgesetzt wurden.


Auch den Aufbruch durch die "Wundenfilme", in denen ab den späten 1970er Jahren tragische persönliche Schicksale während der Zeit des Kommunismus erzählt, aber Kritik an der politischen Führung zunächst ausgespart wurde, und die danach folgenden sogenannten "Wurzelfilme", die – wie Chen Kaiges Debüt "Gelbe Erde" - das Bauerntum als Wurzel der chinesischen Zivilisation ins Zentrum stellen, zeichnet der Autor anschaulich nach.


Das abschließende Kapitel widmet sich einerseits den nach Hollywood-Muster angelegten Großproduktionen, die ein Massenpublikum erreichen sollen und mit der Feier moralischer Größe und der zivilisatorischen Überlegenheit Chinas wieder dem "Nation Building" dienen sollen. Andererseits bietet Kramer aber auch Einblick in das gesellschaftskritische Schaffen der Regisseure der sechsten Generation wie Jia Zhangke, die immer wieder auf den Rändern der Gesellschaft fokussieren, von Vereinsamung in Zeiten der Globalisierung erzählen und teils allein schon als billige Amateurfilme mit ihrer rohen Form Misstände bewusst machen. Aber auch das Verschwinden des Kinos und das Aufkommen neuer Distributionsformen wie Internet und Streamingdienste wird hier angesprochen.


Extrem dicht und kenntnisreich ist diese Darstellung, doch die Kompaktheit hat auch ihre Nachteile. Denn in der Knappheit ist der Abriss auch sehr gedrängt und zusammengepresst. Sehr spärlich ist die Bebilderung, auch Unterkapitel, die Pausen und eine stärkere Strukturierung schaffen könnten, fehlen. Schier atemlos geht es in "Filmgeschichte kompakt: Der chinesische Film" über die knapp 150 Seiten dahin und das Buch stellt damit auch beträchtliche Anforderungen an das Aufnahmevermögen der Leserschaft. – Unbestritten ist aber der immense Informationsgehalt des schmalen und kleinformatigen Bandes.


Stefan Kramer, Der chinesische Film. Filmgeschichte kompakt Bd. 3, Edition text + kritik, München 2022. 149 S., € 19, ISBN 978-3-96707-565-6

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