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  • AutorenbildWalter Gasperi

Filmbuch: Christopher Nolan (Film-Konzepte 62)


Wie wohl kein zweiter Regisseur der Gegenwart versteht es der 1970 in London geborene Christopher Nolan spektakuläres Blockbuster-Kino mit Autorenfilm zu kombinieren. Der 62. Band der bei et+k erscheinenden Reihe Film-Konzepte bietet profunde Analysen der Filme des in Los Angeles lebenden Regisseurs.


Elf lange Spielfilme hat Christopher Nolan seit seinem Debüt "Following" (1998) gedreht, mit sechs Milliarden Dollar Einnahmen allein an den Kinokassen zählt er zu den erfolgreichsten Regisseuren aller Zeiten. Seit der "The Dark Knight"-Trilogie wird der Kinostart jedes neuen Nolan-Films zum großen Ereignis hochstilisiert. Schon jetzt ist sein nächster Film, in dem es um den Physiker Robert Oppenheimer, den "Vater der Atombombe", gehen wird und dessen Starttermin schon für 20. Juli 2023 fixiert ist, im Internet ein Thema.


Etwas irritierend ist beim von Jörg Helbig herausgegebenen 62. Band der Reihe Film-Konzepte, dass als Cover ein Filmstill von "Tenet" dient, dieser letzte Film Nolans dann im Buch aber nicht vorgestellt wird. Grund dafür ist, dass zunächst ein Beitrag zu "Tenet" fix eingeplant war, dann aber das Zeitfenster zwischen Kinostart und Manuskriptabgabe zu kurz war. Verzichtet wurde auch auf eine detaillierte Analys von "Memento" (2000), dafür bekam Nolans dreiminütiger Kurzfilm "Doodlebug" (1997) einen eigenen Beitrag.


Präzise arbeitet Jörg Helbig heraus, wie sich die zentralen Themen des Meisterregisseurs schon in diesem Frühwerk finden. Auch hier dominieren nämlich schon die Männer – bzw. es kommt nur ein Mann vor -, im Zentrum steht eine labile Figur und auch die bei Nolan wiederkehrende Doppelgänger-Thematik sowie die Auseinandersetzung mit dem Mysterium der Zeit finden sich schon in diesem Kurzfilm.


Während sich Marcus Stiglegger mit der Zeitlichkeit in Nolans Filmen auseinandersetzt und ausgehend vom Blick auf die filmischen Konventionen der Zeitlichkeit in David Leans "Lawrence von Arabien" herausarbeitet, wie Nolan das Publikum durch Umkehrung der Linearität und Stören der Zeitlichkeit manipuliert und mit filmischen Mitteln die Ebenen der Zeitlichkeit erkundet, fokussieren die anderen Autoren auf einzelnen Filmen.


So analysiert Désirée Kriesch, wie Nolan in seinem mit minimalem Budget und Familienangehörigen auf 16mm gedrehten ersten langen Spielfilm "Following" (1998) mit Parallelmontage und subjektiver Wahrnehmung arbeitet und im Protagonisten, der die Ereignisse manipuliert und lenkt, die Arbeit des Filmemachers spiegelt.


Sebastian Seidler widmet sich dagegen "Insomnia" (2002) und legt die Komplexität dieses Thrillers dar, der allgemein als eher konventioneller Hollywoodfilm gilt, im Kern aber nach Seidler auch über die visuelle Gestaltung von Grenzüberschreitungen sowie der Auflösung und Neudefinition von Identitäten erzählt.


Andreas Rauscher wiederum arbeitet ausgehend von Jokers zentraler Frage "Why so serious?" den Ernst von Nolans "Dark Knight"-Trilogie (2005 – 2012) heraus, blickt auf die Übertragung von Western-Motiven in die Comicverfilmung und den für Nolan typischen grounded realism, in dem kein Platz für postmoderne Spielereien ist.


Bei "The Prestige" (2006) interessiert sich Sabrina Gärtner vor allem für Parallelen zwischen Nolans Film und M.C. Eschers Holzschnitt "Sky and Water I" und zeigt auf, wie der von Nolan geschätzte niederländische Künstler auch andere Filme wie "Memento", "Inception" und "Insterstellar" beeinflusste.


Beim umfangreich rezipierten "Inception" (2010) blickt Arno Russegger auf die verschachtelten Träume und arbeitet heraus, dass Nolan Immersion wichtiger ist als Verständnis und er bewusst Rätsel über das Ende hinaus aufrecht hält, gleichzeitig auch selbst fast nichts über seine Biographie preisgibt, damit seine Filme nicht daraus erklärt werden.


Spannend ist aber auch Jannik Müllers Blick auf die wissenschaftliche Faktenbasiertheit von "Interstellar" (2014). Detailreich zeigt der Autor auf, wie Nolan bei diesem Film, bei dem der spätere Nobelpreisträger für Physik (2020) Kip Phorne als Berater fungierte, einerseits nach wissenschaftlicher Richtigkeit strebt, andererseits sich aber auch aus ästhetischen Gründen sowie zwecks Verständlichkeit für ein breites Publikum Fiktionalisierungen erlaubt.


Barbara Korte schließlich analysiert nicht nur Nolans Spiel mit der Zeit in "Dunkirk" (2017), sondern auch dessen Verwendung des Mythos für einen Survival-Thriller, in dem durch Entpersonalisierung und Enthistorisierung von Allgemeinem erzählt wird, gleichzeitig dann aber doch wieder der britische Mythos der Evakuierung von Dünkirchen bedient wird.


Abgerundet wird der Band, der mit seinen durchwegs auf hohem Niveau stehenden wissenschaftlichen Artikeln jede weitere Sichtung eines Nolan-Films gewiss bereichert, durch eine kurze Bio- und Filmographie.


Jörg Helbig (Hg.), Film-Konzepte 62: Christopher Nolan. Edition text + kritik, München 2021. 117 S., € 20, ISBN 978-3-96707-468-0 (auch als ebook erhältlich)

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