Eine Liebe im England der 1920er Jahre über die Klassengrenzen hinweg, das Trauma des Ersten Weltkriegs und die Befreiung eines Dienstmädchens aus der Abhängigkeit: Viel packt die Französin Eva Husson in ihren dritten Spielfilm, doch dank der stark elliptischen und achronologischen Erzählweise und lichtdurchfluteter Bilder gelang dennoch ein fließender und sehr sinnlicher Film.
Die Detailaufnahme der Augenpartie einer jungen Frau gibt schon die inszenatorische Richtung von Eva Hussons Verfilmung von Graham Swifts 2016 erschienenem Bestseller "Ein Festtag" vor. Immer wieder ist die Kamera von Jamie D. Ramsay hautnah an den Körpern, gewährt keinen Überblick, erzeugt aber, verstärkt durch warmes Licht und Farben, große Sinnlichkeit.
Zu einer Abfolge von Bildern leerer Räume setzt die Stimme der Frau mit "Es war einmal…" ein und eine Erinnerung scheint zu beginnen. Doch so klar ist die Erzählstruktur nicht, denn sogleich kommt ein junger Mann ins Bild, der sich wiederum an das Rennpferd der Familie erinnert. Bruchlos sind die Übergänge zwischen den Zeiten. Vergangenheit und Gegenwart, Erinnerung und direktes Erleben fließen zu einem einzigen intensiven Augenblick zusammen.
Zeitliches Zentrum des Films ist der 30. März 1924, der "Mothering Sunday", an dem die Bediensteten der britischen Adelshäuser traditionell frei bekamen, um ihre Eltern zu besuchen. Auch die Nivens, die diesen Tag, der mit seiner Frühlingssonne schon Sommerstimmung verbreitet, mit einem Picknick mit ihren Nachbarn verbringen werden, geben dem Dienstmädchen Jane (Odessa Young) an diesem Tag frei. Da Jane als Waisenkind keine Eltern hat, die sie besuchen könnte, gibt sie vor eine Fahrradtour zu machen, wird sich aber im Haus der Nachbarn mit ihrem Geliebten Paul (Josh O´Connor) treffen, der als Sohn des Hauses aber in Kürze standesgemäß seine Nachbarin Emma (Emma D´Arcy) heiraten wird.
Dem Treffen Pauls und Janes steht so das Picknick der Herrschaften gegenüber. Beschwören bei ersterem Detailaufnahmen die Sinnlichkeit und Leidenschaftlichkeit der Liebe, dominieren beim Picknick am See distanzierte Einstellungen, die die Steife nicht nur dieser Landpartie, sondern auch der gesellschaftlichen Regeln spürbar machen. Während sich Janes Arbeitgeber Mr. Niven (Colin Firth) nach außen gelöst gibt, lässt dessen Frau (Olivia Colman) stets spüren, wie sie immer noch unter dem Verlust des Sohnes im Ersten Weltkrieg leidet. Doch sie ist damit nicht allein, denn auch alle Söhne der Nachbarn sind mit Ausnahme von Paul im Krieg gefallen.
Doch nicht nur Trauma und leidenschaftliche Liebe stehen sich hier gegenüber, sondern auch Oberschicht und Dienstboten und in der Beziehung zwischen Paul und Jane wird auch die Dominanz des Mannes sichtbar.
Eva Husson erzählt aber nicht chronologisch, sondern wechselt immer wieder nicht nur zwischen Picknick und Schäferstündchen des Paares, sondern lässt Jane sich auch an die erste Begegnung mit Paul erinnern oder blendet in die Zukunft. In bruchstückhaften Szenen kommt damit eine andere und freiere Welt ins Spiel, denn in dieser Zukunft ist Jane Schriftstellerin und lebt mit einem schwarzen Philosophen zusammen.
So erzählt "Ein Festtag" auch von der Emanzipation einer Frau, über die ihre Arbeitgeberin Mrs. Niven sagt, dass sie sich glücklich schätzen könne, dass sie keine Familie habe, denn so habe sie absolut nichts zu verlieren. Über die literarische Tätigkeit gelingt Jane aber nicht nur die Befreiung aus der Abhängigkeit eines Dienstmädchens, sondern gleichzeitig reflektiert Husson mit dieser Entwicklung auch über die Wurzeln schriftstellerischer Tätigkeit, die untrennbar mit persönlichen Erfahrungen verbunden scheinen.
Was in linearer Erzählweise aber vermutlich ein melodramatisches Liebesdrama und eine konventionelle Emanzipationsgeschichte geworden wäre, wird in der stark fragmentarischen Erzählweise Hussons und im befreiten Springen zwischen den Zeiten und Orten und dank geschmeidiger Montage und Sommerstimmung zu einer trotz ernster Themen flirrenden, luftig-leicht und frei dahinfließende Szenenfolge, die sich langsam zu einem vielschichtigen Bild verdichtet.
Mag Husson ihre Kunstfertigkeit auch allzu offen zelebrieren und ausstellen, es mit Zeitlupen, Unschärfen und assoziativen Bildfolgen teilweise übertreiben, so ist insgesamt doch nicht nur der Mut zu einer unkonventionellen und offenen Erzählweise zu bewundern, sondern auch das Resultat. Gerade mit dieser impressionistischen Form gelingt es Husson nämlich viele Themen so anzuschneiden oder vielmehr anzutippen, dass nie das Gefühl der Oberflächlichkeit aufkommt, harte Klassengegensätze, Traumata und bittere Schicksalsschläge zwar aufgezeigt werden, dieses Drama aber dennoch Leichtigkeit bewahrt.
Läuft derzeit in den österreichischen und deutschen Kinos, z.B. im Cinema Dornbirn.
Trailer zu "Ein Festtag"
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