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  • AutorenbildWalter Gasperi

Dolor y gloria - Leid und Herrlichkeit


Unübersehbar autobiographisch geprägt ist Pedro Almodóvars 21. Spielfilm, in dem sich ein etwa 60-jähriger Filmregisseur an seine Karriere, seine Kindheit und eine große Liebe erinnert. Unübersehbar ein Film des spanischen Meisterregisseurs ist dies aber auch im Beschwören von Sehnsucht und Melancholie und in den intensiven Farben.


Wie aus dem Leben gefallen fühlt sich der etwa 60-jährige Filmregisseur Salvador Mallo (Antonio Banderas). Isoliert sieht er sich auf einem Stuhl am Grund eines Schwimmbeckens sitzend, abgeschnitten von der Welt und erinnert sich an seine Kindheit, als seine Mutter mit anderen Frauen an einem Fluss die weißen Bettlaken wusch.


Wunderbar fließend wechselt Pedro Almodóvar immer wieder zwischen Gegenwart und Vergangenheit, lässt unvermittelt Erinnerungen Salvadors an seine Kindheit in den 1960er Jahren in einem Dorf in Valencia und eine große Liebe in den 1968 Jahren hereinbrechen. Stehen im Zentrum der meisten Filme des spanischen Meisterregisseurs allerdings Frauen, so ist hier ganz klar der Regisseur als sein Alter Ego Identifikationsfigur.


Konsequent aus seiner Perspektive wird erzählt, hin und wieder begleitet sein Voice-over die Rückblenden. Mit Voice-over und Skizzen erinnert er so auch in zwei kurzen, extrem verdichteten Szenen an Defizite in der Schulbildung und vermittelt wie er als gefeierter Regisseur um die Welt reiste oder mit Animationen, an welchen zahlreichen Krankheiten von Rückenschmerzen über ständiges Kopfweh, Panikattacken und Schlaflosigkeit bis zu Tinnitus er inzwischen leidet.


Großartig vermittelt Antonio Banderas die Ausgebranntheit dieses Mannes, dessen Schmerzen ihm jede Kraft zum Arbeiten rauben und dem nur Medikamente und Drogen Linderung zu verschaffen scheinen. Bewegung kommt aber in sein Leben, als er sich bei der Wiederaufführung eines vor 32 Jahren gedrehten Films zusammen mit dem Hauptdarsteller, mit dem er sich damals zerstritten hat, einer Publikumsdiskussion stellen soll.


So muss er mit diesem Schauspieler Kontakt aufnehmen, erinnert sich aber gleichzeitig an seine Kindheit in einem katholischen Gymnasium, seine frühe Leidenschaft fürs Kinos und seine Mutter, während der Vater eine Randfigur bleibt. Gleichzeitig kommt mit dem Schauspieler, der ein Skript, das er auf Salvadors Computer entdeckt, auf der Bühne aufführt, Erinnerungen an eine große Liebe in den 1980er Jahren ins Spiel, und schließlich auch Erinnerungen an eine späte Aussprache mit der Mutter, aber auch an das erste große Begehren.


Mit meisterhafter Leichtigkeit und souverän verortet im Protagonisten verknüpft Almodóvar diesen Strom von Erinnerungen und Figuren mit der Gegenwart, reflektiert voll Melancholie über Vergänglichkeit und Altern und feiert gleichzeitig die Magie des Kinos und die Kraft und Schönheit des Begehrens.


Wesentlich zur Intensität dieses bewegenden Dramas, das der Spanier als Abschluss einer aus „Le ley del deseo“ (1987) und „La mala educácion“ (2004) bestehenden Trilogie sieht - im Zentrum dieser Filme standen ebenfalls Filmregisseure - tragen dabei neben den Schauspielern und der geschmeidigen Inszenierung wie meistens bei Almodóvar auch Musik und Farbgestaltung bei.


Mehr noch als der Soundtrack von Almodóvars Stammkomponisten Alberto Iglesias steigern einzelne Lieder wie der Chor der Waschfrauen am Fluss oder eine Wehklage von Chavela Vargas die Emotionen. Gleichzeitig sorgt die mexikanische Sängerin aber auch wieder für ein selbstreferentielles und autobiographisches Moment, hat Almodóvar Vargas und ihre Lieder doch in den frühen 1990er Jahren für seine Filme entdeckt.


Die kräftigen Farben wiederum, die an das Hollywoodkino der 1950er Jahre erinnern und die heute teilweise auch die Filme von Francois Ozon und Todd Haynes kennzeichnen, verleihen hier auch nebensächlichen Dingen wie einem roten und blauen Salz- und Pfefferstreuer eine außergewöhnliche Präsenz und Strahlkraft. Das dominante leuchtende Rot, das die Küche der Wohnung ebenso wie Hemden oder eine Wand bestimmt, verweist dabei freilich auch auf das Begehren und die Leidenschaft als Triebkraft des Lebens, aber nicht weniger markant sind hier das Grün einer Bluse oder das Blau einer Bettdecke.


Wie diese Farben betont auch die Ausstattung der Wohnung des Protagonisten mit Gemälden und Designerstücken die Kraft des Augenblicks und die Intensität der Dinge, gleichzeitig aber auch wiederum den autobiographischen Charakter, denn dieses Haus, die Möbel in der Küche und die Gemälde sind Almodóvars eigene.


Vor allem aber ist es natürlich das meisterhafte Spiel mit Gegenwart und Vergangenheit, die die Vergänglichkeit und das Verrinnen von Zeit bewusst macht. Vorstellen muss man sich so, wie jugendlich einst Salvador und sein Geliebter waren, sieht sie aber jetzt deutlich gealtert, und ganz plastisch wird das spürbar, wenn in der vielleicht bewegendsten Szene des Films Salvador sich mit seiner alten und dem Tod nahen Mutter spricht, die in den anderen Szene eine deutlich jüngere Penelope Cruz spielt.


Da mischt sich in den Film auch immer wieder ein Bedauern über verpasste Chancen und Versäumnisse – und dennoch steht am Ende nicht Niedergeschlagenheit, sondern eine Hymne auf das Kino und das Leben, wenn die Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit dem Regisseur ermöglicht die Krise zu überwinden und seine eigene Geschichte filmisch zu verarbeiten und persönliches Erleben und Film im Film in der Schlussszene ineinanderfließen.


Läuft derzeit in den Schweizer Kinos. - In den österreichischen und deutschen Kinos ab 25. Juli


Trailer zu "Dolor y gloria - Leid und Herrlichkeit"


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