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  • AutorenbildWalter Gasperi

Die Sirene - The Siren

Sepideh Farsi lässt in ihrem Animationsfilm einen 14-Jährigen durch die von der irakischen Armee belagerte iranische Stadt Abadan streifen und vielfältige Begegnungen machen: Eindringliche Beschwörung der Schrecken des Krieges, in der aber auch poetische Momente Hoffnung verbreiten.


Im September 1980 begann mit dem irakischen Angriff auf mehrere iranische Städte der Erste Golfkrieg. Acht Jahre dauerte dieser weitgehend "vergessene Krieg", je nach Schätzungen forderte er bis zu 1,5 Millionen Menschenleben.


Über ein Jahr lang wurde unmittelbar nach Kriegsbeginn auch das direkt an der irakischen Grenze gelegene und nur 50 Kilometer vom Persischen Golf entfernte Abadan belagert. Große Teile dieses Zentrums der iranischen Erdölindustrie wurden dabei zerstört.


Heil ist die Welt für den 14-jährigen Omid am Beginn von "The Siren" noch, wenn er mit Freunden auf einer Industriebrache vor einer Erdölraffinerie Fußball spielt. Doch noch während des Spiels nähern sich am wolkenlosen Himmel Raketen und die Raffinerie geht in Flammen auf.


Während sich Omids älterer Bruder zum Militär meldet und seine Mutter mit den jüngeren Geschwistern aus der Stadt flieht, bleibt der Teenager mit seinem Großvater, der sein Haus nicht verlassen will, in der belagerten Stadt.


Bald muss er dabei für einen Freund, der bei einem weiteren Raketenangriff schwer verletzt wird, Lieferservice für Mahlzeiten übernehmen. Ganz aus Omids Perspektive erzählt so Sepideh Farsi, in beinahe jeder Szene ist er präsent und ist das Bindeglied der einzelnen Szenen und Figuren.


Auch Omid möchte ins Heer aufgenommen werden, doch nach einem erschütternden Fronterlebnis, wird er wegen seines jugendlichen Alters wieder nach Hause geschickt. Sein Job als Essenslieferant führt ihn nun im Stil eines klassischen Stationendramas zu unterschiedlichsten Menschen, durch die die 1965 im Iran geborene und 1984 nach Frankreich emigrierte Farsi ein Bild der einstigen kulturellen Vielfalt und Blüte der Küstenstadt vermittelt.


Der Bogen spannt sich von armenisch-orthodoxen Priestern, die in ihrer Kirche immer noch ein Bild der Jungfrau Maria schützen wollen, über einen Koch und eine einstige Diva, die immer noch große Vornehmheit ausstrahlt und deren Bilder an der Wand nicht nur von ihrem Ruhm, sondern auch vom Glamour dieser Stadt künden, bis zu einem Ingenieur und einem griechischen Fotografen, der hier gestrandet ist. Den Blick richtet Farsi hier auf Menschen, die im Land der Mullahs an den Rand gedrängt wurden und quasi im Untergrund leben, gleichzeitig aber auch Zeugen einer anderen, helleren und vielfältigeren Vergangenheit sind.


Immer wieder machen aber auch Raketeneinschläge oder der Besuch eines Friedhofs, auf dem Gefallene begraben werden, das Krankenhaus, in dem Omids Freund liegt, oder das verwüstete und verlassene Fußballfeld die Schrecken dieser Belagerung bewusst.


Doch daneben scheint dennoch auch der Alltag weiterzugehen, wenn weiterhin Hahnenkämpfe veranstaltet werden, bei denen eifrig und hitzig gewettet wird, oder wenn sich eine zarte Freundschaft oder Liebe zwischen Omid und Pari, der Tochter der Diva, entwickelt.


Über die konkrete historische Situation hinaus verleiht Farsi dabei gerade durch die überhöhende Wirkung der Animation ihrem Film Allgemeingültigkeit. Aktuell lässt "The Siren" so an die Situation der Zivilisten im Gazastreifen ebenso denken wie an die der Menschen in den Städten der Ukraine.


Gleichzeitig strahlen die ebenso klaren wie reduziert gehaltenen Bilder, die den Blick auf das Wesentliche lenken, mit ihren farbintensiven Akzenten trotz der bedrückenden Situation immer wieder Lebensfreude und Hoffnung aus. Diese resultiert aber auch daraus, dass Farsi, die ihren Film ihrem 2022 gestorbenen Vater gewidmet hat, in diese Kriegs- und Belagerungsgeschichte beiläufig auch eine Coming-of-Age- und Liebesgeschichte einbettet.


Den Lebensmut lässt sich Omid von den beklemmenden Verhältnissen nicht nehmen, sondern beschließt, als er mitbekommt, dass die iranische Armee den Irakern nicht mehr standhalten kann, inspiriert von seinem verschollenen Vater, der Kapitän war, ein beschädigtes traditionelles Lenj-Schiff wieder auf Vordermann zu bringen und damit eine Evakuierung der Zivilisten zu starten: Ein schon märchenhaftes Hoffnungsbild ist diese mit Menschen unterschiedlichster Herkunft und sozialer Stellung gefüllte Arche Noah, die dem Film den Titel "The Siren" gab. 

 

 

The Siren – Die Sirene Frankreich / Deutschland / Luxemburg / Belgien 2023 Regie: Sepideh Farsi Animationsfilm Länge: 100 min.



Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. Kinok St. Gallen


Trailer zu "Die Sirene - The Siren"



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