In seinem für sieben Oscars nominierten autobiographisch inspirierten Film erzählt Steven Spielberg einerseits wie sein Alter Ego Sammy Fabelman in den 1950er und 1960er Jahre seine Filmleidenschaft entwickelt und anderseits eine Familiengeschichte.
Etwa sechs Jahre alt ist Sammy Fabelman, als seine Eltern Burt (Paul Dano) und Mitzi (Michelle Williams) ihn 1952 erstmals mit ins Kino nehmen. Doch Sammy fürchtet sich und will nicht in den dunklen Saal. Wenn hier der Vater mit technischen Erklärungen die Angst nehmen will, die Mutter dagegen erklärt "Filme sind Träume, die du nie vergisst", dann stößt einerseits schon der Gegensatz von Rationalität und Fantasie, der Sammys Elternhaus bestimmt, aufeinander, andererseits wird mit der Erklärung der Mutter schon auf die Magie und Macht des Kinos, die sich durch den Film zieht, eingestimmt.
Gezeigt wird im Kino zwar mit Cecil B. DeMilles "The Greatest Show on Earth" ein Zirkusfilm, doch in "Die Fabelmans" sehen wir keine Zirkusszene, sondern nur ein spektakuläres Zugsunglück. Wie Spielberg damit den Bogen zum Anfang der Filmgeschichte mit "L'Arrivée d'un train à La Ciotat" der Lumière Brüder schlägt, so wird er seinen Film auch mit einer Reverenz an einen der Größten der Filmgeschichte beschließen.
Der ersten Initiation in den Film mit dem Kinobesuch 1952 steht damit etwa 14 Jahre später eine zweite mit der Begegnung eines von David Lynch gespielten Filmregisseurs gegenüber. Nachdem hier die Kamera mit einem 360° Schwenk über Plakate einige der zahlreichen Meisterwerke dieses Regisseurs bewegend in Erinnerung gerufen hat und der alte Mann ihm eine Kinolektion erteilt hat, weiß Sammy definitiv, was er in Zukunft machen will.
Dazwischen steht die Entwicklung zu diesem lebensentscheidenden Entschluss und die Geschichte seiner Familie, die unübersehbar nach Spielbergs eigener Familie gezeichnet ist. Denn wie Spielberg selbst wächst sein Sammy als Sohn eines Computeringenieurs und einer Musikerin im Spannungsfeld von Technik und Kunst auf.
Angeregt durch den ersten Kinobesuch wünscht er sich nicht nur eine Modelleisenbahn, sondern will bald auch das Zugsunglück nachstellen. Um diesen Crash für immer festzuhalten, wird er von Sammy und seiner Mutter mit der Super-8-Kamera des Vaters gefilmt. Bei diesem Filmchen bleibt es aber nicht, sondern lustvoll beginnt nun Sammy weitere kurze Filme zu drehen, für die sich seine Schwestern verkleiden müssen oder mit Toilettenpapier als Mumien verpackt werden.
Bald übersiedelt die Familie, zu der auch drei Töchter gehören, die allerdings nur wenig Konturen gewinnen, zusammen mit Vaters Freund Benni (Seth Rogen) aus beruflichen Gründen nach Arizona. Später wird ein Angebot von IBM zum Umzug nach Kalifornien führen.
Eine US-1950er Jahre Musterfamilie des gehobenen Mittelstands wird hier präsentiert und parallel zu familiären Szenen wie dem Tod der Großmutter und dem Besuch eines Verwandten mit Zirkus- und Filmerfahrung, geht es um die filmische Entwicklung Sammys (Gabriel LaBelle). Schlüssig zeigt Spielberg wie ein Besuch von John Fords "The Man Who Shot Liberty Valance" ihn zum eigenen Dreh eines Westerns anregt oder wie er später einen Kriegsfilm, in dem man einen Vorverweis auf "Saving Private Ryan" (1998) sehen kann, dreht.
Hier zeigt sich schon Spielbergs eigene Orientierung am klassischen amerikanischen Erzählkino, denn ein Neuerer war der 1946 geborene Regisseur ja nie, hat es aber immer wieder perfekt verstanden, spannende Geschichten zu erzählen und damit vom Actionfilm "Der weiße Hai" (1975) über den Abenteuerfilm "Indiana Jones – Jäger des verlorenen Schatzes" (1981) bis zum Märchen "E.T." (1982) und "Jurassic Park" (1993) Kassenschlager zu schaffen. Dazwischen fanden aber auch immer wieder ernste Filme Platz wie "Schindler´s Liste" (1993), "Lincoln" (2012) oder "The Post" (2017).
Nicht zu kurz kommt bei dieser filmischen Entwicklung des Jugendlichen auch der technische Aspekt, wenn eine 8-mm-Kamera bald durch eine Bolex abgelöst wird und schließlich ein Highschool-Film mit einer Arriflex-16-mm-Kamera gedreht wird. Aber auch der Wunsch nach Schneidemaschine und die Arbeit daran findet Platz.
Ein von Sammy gedrehter Film über einen Campingurlaub der Familie bringt aber auch das Thema der Manipulation durch Film ins Spiel. Denn während Sammy bei Sichtung des Materials im Stil des Fotografen von Michelangelo Antonionis "Blow Up" in den Aufnahmen Dinge entdeckt, die ihn schwer erschüttern, präsentiert er der Familie schließlich einen Film, in dem diese Momente völlig eliminiert sein. Gleichzeitig schneidet er aber einen zweiten Film, in dem der Fokus gerade auf diesem Aspekt liegt.
Spätestens mit dem Umzug der Familie nach Kalifornien zerbricht die Ehe der Eltern aber. Diese Erfahrung belastet nicht nur Sammy schwer, sondern hat auch deutliche Spuren vor allem in den frühen Filmen Spielbergs wie "Sugarland Express" (1974) oder "Unheimliche Begegnung der dritten Art (1978) hinterlassen, in denen die Zerrüttung von Familien eine zentrale Rolle spielt.
Mit dem Wechsel nach Kalifornien und an eine dortige Highschool kommt aber auch antisemitisches Mobbing Sammys, der auch körperlich den durchtrainierten Mitschülern deutlich unterlegen ist, ins Spiel. Gegenpol zu diesen bitteren Erfahrungen, bei denen Spielberg auch schonungslos eine hässliche Seite Amerikas zeigt, bildet wiederum die erste Liebe des Teenagers, die zu einer für diesen Regisseur ungewöhnlich schrägen Szene in einem Mädchenzimmer mit zahllosen Jesusbildern und Kreuz führt. Und andererseits wird bei einem Highschool-Film Sammys wiederum eindrücklich die Möglichkeit, mit einem Film Leute lächerlich zu machen oder aber in den Himmel zu heben plastisch vor Augen geführt.
Nicht anders als bei einem Meister wie Spielberg zu erwarten, ist diese Familiengeschichte so rund und flüssig inszeniert, dass die Spannung mühelos über 150 Minuten aufrecht erhalten wird. Da versteht einer perfekt das Tempo zu kontrollieren, Akzente zu setzen und weder an Schauspiel noch an Ausstattung oder technischen Aspekten gibt es etwas auszusetzen.
Doch so sehr Spielberg hier auch persönliche Erfahrungen verarbeitet, so fehlt es dieser Hommage an die Macht des Kinos und an seine 2017 und 2020 verstorbenen Eltern, denen er "Die Fabelmans" gewidmet hat, letztlich doch etwas an Leidenschaft. Gepflegtes Familienkino alter Schule wird geboten, das souverän Drama und Witz mischt, von Melancholie durchzogen ist und ganz in der Tradition des großen Meisters steht, dem Sammy am Schluss des Films begegnet. Formal und inhaltlich aufregendes Kino, das auf der Höhe der Zeit ist und vielleicht auch Wege in die Zukunft weist, schaut heute aber doch eher aus wie "TÁR" oder "Everything Everywhere All at Once".
Die Fabelmans USA 2022 Regie: Steven Spielberg mit: Michelle Williams, Gabriel LaBelle, Paul Dano, Seth Rogen, Judd Hirsch, Jeannie Berlin, Julia Butters, Robin Bartlett, Keeley Karsten, David Lynch Länge: 151 min.
Läuft derzeit in den Kinos
Trailer zu "Die Fabelmans"
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