top of page
  • AutorenbildWalter Gasperi

Der Gesang der Flusskrebse - Where the Crawdads Sing


Eine junge Frau, die als Außenseiterin gilt, weil sie allein im Marschland von North Carolina aufgewachsen ist, wird eines Mordes verdächtigt: Grundsolide, aber auch sehr stromlinienförmige und überraschungsfreie, reichlich kitschige Verfilmung von Delia Owens 2019 erschienenem Bestseller.


Wenn am Beginn die Kamera, die im großen Flug einem Wasservogel folgt, einen Überblick über das Marschland von North Carolina bietet, bis sie in dieser Sumpfgegend die Leiche eines jungen Mannes entdeckt, könnte man noch einen Krimi erwarten. Auch die Spurensicherung der Polizei und die baldige Verhaftung der 24-jährigen Kya Clark (Daisy Edgar Jones), die per Boot zu flüchten versucht, führt in diese Richtung.


Doch mit dem Besuch des pensionierten Anwalts Tom (David Strathairn) in der Gefängniszelle und einer ersten Rückblende, in der Kya ihre Geschichte zu erzählen beginnt, ändert sich die Tonlage grundsätzlich. Eingebettet in die rahmende Gerichtsverhandlung und mehrfach durch diese unterbrochen, rückt mit diesen Rückblenden nämlich die Entwicklungsgeschichte der Protagonistin ins Zentrum. Die kurz gehaltene Gerichtsverhandlung auf der 1969 spielenden Gegenwartsebene soll dagegen die Spannung mit der Frage nach Schuld oder Unschuld und damit Freispruch oder lebenslanger Haft bzw. Todesstrafe hochhalten.


Über 16 Jahre spannen sich so die 1953 einsetzenden Rückblenden. Erzählt wird hier von einer Achtjährigen, die aufgrund ihres aggressiven und alkoholsüchtigen Vaters – angedeutet wird ein Kriegseinsatz, eventuell in Korea, als mögliche Ursache – von Mutter und älteren Geschwistern im Stich gelassen wird. Als schließlich auch der Vater verschwindet, schlägt sie sich selbst im Marschland durch.


Den Wunsch nach Schulbesuch gibt sie auf, nachdem sie am ersten Schultag wegen ihrer Kleidung gemobbt und verlacht wird, dem Jugendamt entzieht sie sich und führt lieber ein Einsiedlerleben. Empathie und Unterstützung erfährt sie nur vom schwarzen Paar, das den Laden der nahen Kleinstadt führt, und als Teenager vom etwa gleich alten Tate (Taylor John Smith). Dieser bringt ihr nicht nur Lesen und Schreiben bei, sondern fordert sie auch auf, ihre Tierzeichnungen an Verlage zu schicken. Gegenpol zu Tate ist der Ermordete Chase Andrews, der auch eine Affäre mit Kya beginnt, aber nie ernste Absichten verfolgt.


Die simple Schwarzweißmalerei mit dem netten und mitfühlenden Tate auf der einen Seite und dem Kotzbrocken Chase auf der anderen kennzeichnet den ganzen Film. Zwischentöne und Ambivalenzen kennt Regisseurin Olivia Newman nicht. Gut und böse sind klar getrennt. Gekonnt spielt sie mit den Emotionen des Publikums, lässt es sich mit Kya sich freuen und trauern, steigert die Gefühle durch die Bildsprache, wenn Kya von Tate bei Sonnenuntergang und 4. Juli-Feuerwerk am Strand sitzengelassen wird oder sie erkennt, dass sie von Chase nur ausgenützt wird.


Partei ergreift der Film für diese Außenseiterin und gegen die Vorverurteilung durch die kleinbürgerliche Gesellschaft und lässt ihren Anwalt vor Gericht immer wieder betonen, dass es um Fakten geht, die Sozialisation der jungen Frau bei der Urteilsfindung dagegen keine Rolle spielen darf.


Da geht es auch zentral um toxische Männlichkeit und weibliche Selbstfindung und Selbstbestimmung. Das Marschland steht dabei für ihre Wildheit und Ungebundenheit, ihre Kreativität und Offenheit, der die Kleinstadt mit ihrer konservativen und bornierten kleinbürgerlichen Gesellschaft gegenübersteht.


Durchaus gekonnt ist das inszeniert, bewegt sich aber auch sehr in ausgetretenen Bahnen, bis die Rückblenden in die Gegenwart der Schlussplädoyers von Staatsanwalt und Anwalt münden. Wie am Reißbrett entworfen spult Newman die Handlung herunter, optischen Reiz entwickelt der Film freilich in der Einbettung ins filmisch noch unverbrauchte Marschland von North Carolina. Da kann Newman, auch wenn "Der Gesang der Flusskrebse" in Louisiana gedreht wurde, in Grüntönen schwelgen und ausgiebig verwachsene Bäume, Flussarme und sumpfiges Grünland ins Bild rücken.


Kitsch kommt dabei freilich nicht nur bei Liebesszenen vor Sonnenuntergang, sondern auch beim Auffliegen eines Schwarms von Schneegänsen auf oder wenn sich Tate und Kya küssen, während der Wind die Herbstblätter hochwirbelt.


Unverbraucht mögen die jungen Schauspieler*innen sein, aber zu sehr Klischeebilder sind sie, während der physisch immer sehr präsente David Strathairn seinen Anwalt im Stil klassischer US-Kinoanwälte anlegt.


Stromlinienförmige Kinounterhaltung nach klassischem US-Muster wird so geboten. Gut kann man das anschauen, auch wenn Newman es mit der Mystifizierung der Natur übertreibt, aber wirklich mitreißen kann dieser Mix aus Coming-of-Age-Geschichte, Romanze, Krimi und Gerichtsdrama kaum: Zu glatt und kantenlos ist das letztlich, zu viel Kinogeschichte und Kinoemotionen und zu wenig wirkliches Leben.


Der Gesang der Flusskrebse – Where the Crawdads Sing USA 2022 Regie: Olivia Newman mit: Daisy Edgar-Jones, Taylor John Smith, Harris Dickinson, David Strathairn, Michael Hyatt Länge: 126 min.


Läuft derzeit in den Kinos


Trailer zu "Der Gesang der Flusskrebse - Where the Crawdads Sing"


bottom of page