Noch bis 20. Mai können auf flimmit.com und vodclub.online zum gleichen Preis zehn Filme aus dem heurigen Programm des Linzer Filmfestivals Crossing Europe gestreamt werden: "Blind Spot - L´angle mort" von Patrick Mario Bernard und Pierre Trividic und "Take Me Somewhere Nice" von Ena Sendijarević sind zwei Beispiele für eigenwilliges und spannendes junges europäisches Autorenkino.
Während Belén Funes´ schon vorgestelltes Debüt "La hija de un ladron – A Thief´s Daughter" sozialrealistisches Kino bietet, bürsten die Franzosen Patrick Mario Bernard und Pierre Trividic in "Blind Spot – L´angle mort" das Superhelden-Genre gegen den Strich. Schon im starken Prolog wird die besondere Gabe des Protagonisten vorgestellt, wenn ein Baby in der Garderobe eines Musikclubs plötzlich aus dem Tragekorb verschwindet, dann aber wieder auftaucht.
Mit einem Schnitt überspringt das Regie-Duo 38 Jahre. Immer noch besitzt Dominick, der nun in einem Musikgeschäft arbeitet, die Gabe sich unsichtbar zu machen. Selten setzt er sie aber ein, denn die Verwandlung fordert große physische Kraft von ihm, manchmal kommt die Verwandlung aber auch wie ein Anfall über ihn.
Kein cooler Held ist das, der große Taten vollbringt, sondern vielmehr ein unsicherer Mann, den seine spezielle Fähigkeit, die sich immer mehr als Fluch entpuppt und über die er nicht einmal mit seiner Freundin zu sprechen wagt, immer mehr in die Einsamkeit treibt. Heimlich spioniert er so Leute aus, speziell die in der Wohnung gegenüber lebende blinde Musiklehrerin, die aber, gerade aufgrund ihres physischen Handicaps, Dominick auch im Zustand der Unsichtbarkeit spüren kann.
Statt auf spektakuläre Action setzen Bernard / Trividic auf die Beschwörung einer tiefmelancholischen Stimmung. Eindrücklich gelingt dies durch das enge 4:3-Format ebenso wie durch die zahlreichen Nachtszenen und das ausgefeilte Spiel mit Farbe und Licht. Die bewegliche Kamera erzeugt dabei einen suggestiven Sog und vermittelt stimmig die Verlorenheit Dominicks. Wenig bringt dagegen die Verknüpfung der Handlung mit einer Selbstmordserie in der Metro, da dieser Aspekt ebenso wenig weiterentwickelt wird wie die einmal kurz angsprochenen karibischen Wurzeln Dominicks.
Vielfache Reverenzen an Jim Jarmuschs "Stranger than Paradise" finden sich dagegen im Langfilmdebüt von Ena Sendijarević. In "Take Me Somewhere Nice" schickt die 33-jährige Bosnierin ihre junge Protagonistin Alma von den Niederlanden, in denen sie mit ihrer Mutter aufgewachsen ist, auf eine Reise durch Bosnien. Dort möchte sie ihren Vater, der schon vor Jahren aus Heimweh die Familie verlassen und in seine alte Heimat zurückgekehrt ist, im Krankenhaus besuchen.
Wie mit Almas Ankunft in Bosnien mit Rollkoffer unübersehbar Jarmuschs Kultfilm zitiert wird – es fehlt nur Screamin Jay Hawkins´ "I Put a Spell on You" als musikalischer Kommentar -, so orientiert sich auch ihre Reise mit ihrem Cousin und dessen Freund, die zunächst wenig Interesse zeigen, sie zu begleiten, an diesem Vorbild.
Die eigenwillige Bildsprache mit ungewöhnlichen Kameraperspektiven, vor allem aber die Farben der Kulissen erzeugen hier immer wieder ein Gefühl der Fremdheit und Distanz. Sommerlich lichtdurchflutet sind die Bilder, doch Einkaufszentrum, Motel oder Hotel am Strand wirken in ihrer sterilen Aufgeräumtheit und ihrem Rosa, Hellblau, Weiß und Türkis wie leblose Postkarten. Deplatziert wirken die Charaktere in diesen Settings, nicht in den Raum integriert, sondern ihm förmlich enthoben. Erst als die Reise aus den Städten in das ländliche Bosnien und in die unberührte Natur führt, stellt sich eine stärkere Verbindung von Mensch und Landschaft ein.
Etwas unentschlossen pendelt "Take Me Somewhere Nice" zwar zwischen Coming-of-Age-Geschichte und Heimat- und Identitätssuche, überzeugt aber durch die lakonisch-trockene Erzählweise, zahlreiche Wendungen und komödiantische Momente, die diesem im Grunde ziemlich pessimistischen und perspektivlosen Blick auf Bosnien und dessen Jugend Leichtigkeit verleihen.
Comments