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  • AutorenbildWalter Gasperi

Crossing Europe 2023: Starke Frauenporträts

Aktualisiert: 1. Mai 2023


Während der Ukrainer Maksym Nakonechnyi im Wettbewerbsfilm "Bachennya Metelyka – Butterfly Vision" bewegend vom Weiterleben einer Ukrainerin nach der Rückkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft erzählt, lotet Milena Aboyan in ihrem in der YAAS! Jugendschiene präsentierten Langfilmdebüt "Elaha" vielschichtig die Zerrissenheit einer junger Deutsch-Kurdin zwischen Liebe zur Familie und Zwängen von Tradition und Patriarchat aus.


Immer schon war der Anteil der Filme, die von Frauen mitinszeniert wurden beim Linzer Filmfestival Crossing Europe hoch. Heuer sind es beachtliche 53%. Dies schlägt sich auch in der Fokussierung auf weiblichen Hauptfiguren und teilweise schon in Titeln wie "Amanda", "Maya Nilo (Laura)" oder "Elaha" nieder.


In Letzterem, den die Armenierin Milena Aboyan als Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg drehte, steht eine 22-jährige Deutsch-Kurdin im Mittelpunkt. Lebensfreude und Leidenschaft beschwört Aboyan bei der Schilderung einer großen Hochzeit, doch schon legen sich Schatten darüber, wenn die Freundinnen von Elaha über die unübersehbare Schwangerschaft der Braut sprechen. Nach kurdischer Tradition muss die Braut nämlich jungfräulich sein, doch auch Elaha, deren Hochzeit schon fixiert ist, erfüllt dieses Kriterium nicht mehr.


Vielschichtig lotet Aboyan mit einer starken Bayan Layla in der Titelrolle die Zerrissenheit der jungen Frau aus. Indem die Debütantin ganz aus der Perspektive ihrer Protagonistin erzählt, die in jeder Szene präsent ist, versetzt sie die Zuschauer:innen in deren Position und vermittelt berührend und intensiv deren schwierige Lage. Zwar könnte Elaha aus dem engen gesellschaftlichen Rahmen ausbrechen, doch immer wieder betont sie, dass sie ihre Familie und die meisten der kurdischen Traditionen liebt.


Gleichzeitig treibt sie ihre Situation freilich immer mehr in Lügen und in eine zunehmend verzweifelte Situation. Eindrücklich zeigt Aboyan, wie Elaha mit niemandem darüber reden kann, dass sie nicht mehr Jungfrau ist, denn ihre Mutter würde das nie akzeptieren. So kann sie auch niemanden um finanzielle Unterstützung für die teure Hymem-Rekonstruktion bitten, das dafür angebotene Medikament wiederum wirkt nicht.


Während innerhalb der Familie weniger der Vater als vielmehr die Mutter ihren Freiraum einengt, ist es außerhalb ihr zukünftiger Ehemann, der im Grunde schwach ist, aber glaubt das patriarchale Rollenbild erfüllen zu müssen, um von seinen Freunden nicht verlacht zu werden.


Zwar fehlen auch etwas papierene Szenen nicht, die vor allem darauf angelegt scheinen das Thema möglichst umfassend abzudecken, insgesamt besticht dieses Debüt, das im engen 4:3 Format die Einengung Elahas auch visuell vermittelt, aber und vermittelt eindrücklich das Spannungsfeld zwischen Freiheitssehnsucht und Lebenslust der jungen Frau und gesellschaftlichen Zwängen. Weil es dabei keine einfache Lösung geben kann, lässt Aboyan ihr Debüt klugerweise auch offen enden.


Von einem Mann inszeniert ist zwar der ukrainische Wettbewerbsbeitrag "Bachennya Metelyka – Butterfly Vision", doch auch Maksym Nakonechnyi stellt mit der jungen Lilia eine junge Frau in den Mittelpunkt. Diese ukrainische Luftaufklärungsspezialistin kehrt während des Kriegs in der Ostukraine in den 2010er Jahren nach mehrmonatiger russischer Kriegsgefangenschaft in ihre Heimat zurück.


In der nah geführten, unruhigen Handkamera wirken die Szenen von dieser Rückkehr quasidokumentarisch. Eingeschnitten werden auch TV-Berichte und Social Media-Kommentare zur Heimkehr der als Heldin gefeierten Frau. Doch Narben auf Rücken und Brust zeugen ebenso von Folter wie abrupt einbrechende, nur Sekundenbruchteile lange verpixelte Bildfetzen von traumatischen Erinnerungen.


Die ausführliche medizinische Untersuchung bringt aber auch zu Tage, dass Lilia in der Kriegsgefangenschaft vergewaltigt wurde und schwanger ist. Eine Abtreibung steht zur Diskussion, doch sie entscheidet sich gegen den Willen ihres Mannes dagegen. Dieser wiederum kommt mit ihrer körperlichen Zurückhaltung nicht zurecht, baut seine Aggressionen in einem Angriff auf ein Roma-Camp ab.


Schon vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 22. Februar 2022 entstand "Butterfly Vision – Bachennya Metelyka" zwar, gewinnt aber vor dessen Hintergrund brennende Aktualität. Getragen von einer starken Rita Burkovska in der Hauptrolle, in deren Perspektive die Zuschauer:innen wie bei "Elaha" versetzt werden, gelingt Maksym Nakonechnyi ein bewegendes Porträt, das dicht nicht nur die Traumata der Gefangenschaft auslotet, sondern auch die Auswirkungen auf das Umfeld der Heimkehrerin anschaulich vermittelt.



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