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  • AutorenbildWalter Gasperi

Crossing Europe 2023: "Bread and Salt" siegt in starkem Spielfilmwettbewerb


Beeindruckende Vielfalt und hohe künstlerische Qualität kennzeichnete das 20-Jahr-Jubiläum des Crossing Europe Filmfestival Linz. Der mit 5000 Euro dotierte Crossing Europe Award für den besten Spielfilm geht an "Bread and Salt – Chleb i Sól" des Polen Damian Kocur, der Publikumspreis an "Safe Place – Sigurno Mjesto" des Kroaten Juraj Leotic und der Preis für den besten Dokumentarfilm wurde zwischen der polnischen Produktion "Silent Life" und dem ukrainischen Film "We Will Not Fade Away – Mi Ne Zgasnemo" geteilt.


Elf Filme liefen im Spielfilmwettbewerb der Jubiläumsausgabe von Crossing Europe – und keinen davon muss man als Fehlgriff bezeichnen. Wieder einmal verdiente sich das Linzer Filmfestival das Prädikat "handverlesene Filme" gezeigt zu haben: Keine Kompromisse wurden eingegangen, hohe künstlerische Qualität und gesellschaftliche Relevanz bestimmten die Auswahl.


Leichter tut sich dabei Crossing Europe freilich als die großen Festivals, denn hier müssen keine Premieren im Wettbewerb gezeigt werden. Zurückgreifen kann man auf Filme, die schon auf anderen Festivals aufgefallen sind oder dort sogar Preise gewonnen haben. Aus dem Wettbewerb der Berlinale holte man so Giacomo Abbruzzeses Fremdenlegions-Film "Disco Boy", der bei Crossing Europe eine lobende Erwähnung erhielt, schon in Locarno lief Ann Orens ausgesprochen origineller "Piaffe".


Einige der anderen Filme liefen dagegen in Venedig oder in Cannes in Nebenschienen, gewannen dort sogar Preise, fanden aber international kaum größere Beachtung. Crossing Europe kann sich hier auf seine Fahnen schreiben, diese Perlen gesichtet und präsentiert zu haben. Ausnahmslos erste und zweite Spielfilme sind dies, gut möglich ist aber, dass diese Regisseur:innen mit einem ihrer nächsten Filme den Sprung in den Hauptbewerb von Cannes oder Venedig und damit den großen Durchbruch schaffen.


Dies ist auch durchaus dem Polen Damian Kocur zuzutrauen, der für sein Spielfilmdebüt "Bread and Salt – Chleb i Sól" nach dem Jurypreis in der Sektion Orizzonte des Filmfestivals von Venedig in Linz mit dem Crossing Europe Award für den besten Spielfilm ausgezeichnet wurde. Kocur greift mit Alltagsrassismus und fehlender Zivilcourage nicht nur gesellschaftlich aktuelle Themen auf, sondern versteht es auch davon in filmisch packender Form zu erzählen.


Im Zentrum steht der Musikstudent Tymek, der für die Sommerferien aus Warschau in seine provinzielle Heimatstadt zurückkehrt. In langen statischen Einstellungen beschwört Kocur intensiv die Atmosphäre eines Sommers, in dem Tymek, sein Bruder und ihre FreundInnen bald in der Wohnung herumhängen, bald die Tage an einem Badesee verbringen und sich immer wieder vor und in einem Kebabladen treffen.


In der Ereignislosigkeit der Tage, der Perspektivelosigkeit der Jugendlichen wird Frustration spürbar, die sich zunehmend in Rassismus gegenüber den arabischstämmigen und der polnischen Sprache nicht mächtigen Betreiber des Kebabladens entlädt. Man spürt zwar, wie Tymek diese Aggressionen innerlich widerstreben, doch in der Gruppe wagt er nicht, dagegen Stellung zu beziehen. Zudem verbirgt er vor Bruder und FreundInnen auch seine latente Homosexualität.


Schon meisterhaft ist, wie Kocur in langen statischen Einstellungen immer wieder Spannung aufbaut, wie er in einer Szene im Bus die sich steigernden Aggressionen und das Wegschauen der anderen Fahrgäste aufdeckt, oder wie er die Annäherungsversuche eines Mädchens in Tymeks Zimmer ins Leere laufen lässt.


Nicht viel passiert im Grunde und keine stringente Handlung wird entwickelt, doch in der konzentrierten Inszenierung, in den authentischen Laiendarsteller:innen und in der Verankerung des Films in einem präzis eingefangenen provinziellen Milieus entwickelt "Bread and Salt – Chleb i Sól" eine nie nachlassende Dichte und Spannung.


Einen starken Eindruck hinterließ im Spielfilmwettbewerb, in dem das kompromisslose kroatische Drama "Safe Place - Sigurno Mjesto" den Publikumspreis gewann, auch Lise Akokas und Romane Guerets "The Worst Ones – Les Pires". Auch das Regie-Duo vertraut in ihrem in letztes Jahr in Cannes mit dem Prix Un Certain Regard ausgezeichneten Langfilmdebüt auf nicht professionelle Kinder und Jugendliche, thematisiert aber gleichzeitig das Filmemachen und dessen Ethik.


Beginnend mit einem Casting von Kindern und Jugendlichen aus schwierigen sozialen Verhältnissen in einem Problemviertel der nordfranzösischen Stadt Boulogne-sur-Mer schildern Akokas / Gueret einerseits die Dreharbeiten an einem Sozialdrama über dieses Viertel und andererseits den – freilich inszenierten – Alltag dieser Protagonist:innen, deren Schicksal durch die Natürlichkeit der jugendlichen Darsteller:innen berührt.


In dieser Doppelstrategie stellt dieser aufregend reflektierte Film immer auch sich selbst zur Diskussion, wenn nach der Verantwortung des Regisseurs beim Dreh einer Sexszene oder beim Befeuern von Emotionen der Schauspieler:innen gefragt wird, wenn die Frage nach Ausbeutung des Milieus und nach Voyeurismus oder echter Anteilnahme und humanistischem Engagement aufgeworfen wird.


Die Vielfalt und Stärke von Crossing Europe zeigte sich aber auch darin, dass im Programm mit "Silence 6-9 - Isihia 6-9" ein für das neue griechische Kino typischer, sehr schräger und enigmatischer Film ebenso Platz fand wie mit "Ordinary Failures – Bezna Selhani" ein mit starken Endzeit-Bildern punktendes tschechisches Drama über drei Frauen, die lernen müssen, sich neu zu orientieren.


Die Stärke von Crossing Europe liegt aber nicht nur im Spielfilmwettbewerb, sondern auch in der Vielfalt der Sektionen. Breit gestreut und in jedem Bereich sorgfältig kuratiert wird hier mit dem "Competition Documentary" auch dem Dokumentarfilm Raum geboten, während im Panorama außer Konkurrenz Spiel- und Dokumentarfilme großteils noch unbekannter Regisseure gezeigt werden. Aufregende Einblicke ins aktuelle europäische Horror- und Fantasykino bietet alljährlich die von Markus Keuschnigg kuratierte Reihe "Nachtsicht".


Mit der von Jugendlichen kuratierten Schiene "YAAS!" will man wiederum mit Filmen mit jungen Protagonist:innen wie dem starken Frauendrama "Elaha" wiederum ein jugendliches Publikum fürs anspruchsvolle Kino gewinnen, während mit der Sparte "Local Artists" den regionalen Filmemacher:innen eine große Plattform geboten wird. Weitere Akzente werden durch die Sparten "Arbeitswelten" und "Architektur und Gesellschaft" gesetzt.


Auch im Jubiläumsjahr hat sich dieses breit aufgestellte und sehr überlegte Konzept als große Qualität von Crossing Europe erwiesen und lässt zusammen mit der sorgfältigen Auswahl der einzelnen Filme auf eine erfolgreiche Weiterentwicklung des Festivals hoffen.


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