Von 1973 bis 1975 herrschte in Uruguay das Militär. Tausende wurden verhaftet, gefoltert und getötet. Álvaro Brechner zeichnet bewegend den Leidensweg von Eleuterio Fernández Huidobro, Mauricio Rosencof und José „Pepe“ Mujica nach, feiert aber gleichzeitig den menschlichen Überlebenswillen.
Mit einem Blick durch ein Gefängnisgitter beginnt Álvaro Brechners Verfilmung von Eleuterio Fernández Huidobros und Mauricio Rosencofs 1990 erschienenem autobiographischen Buch „Memorias del calabozo“ („Wie Efeu an der Mauer“), in dem die Autoren ihre Kerkerjahre schildern.
Nur in Erinnerungen, Träumen und Gedanken wird Brechner den Zuschauer in den folgenden knapp zwei Stunden aus dem Gefängnis entlassen, wird hautnah an Huidobro, Rosencof und José „Pepe“ Mujica, die nach der Machtübernahme der Militärs zusammen mit sechs weiteren Anführern der linken Guerillabewegung „Tupamaros“ verhaftet und verschleppt wurden, in den Zellen bleiben.
Keine Hintergründe schildert der Film, bietet keinen Einblick in den Alltag und die gesellschaftlichen Verhältnisse in Uruguay, sondern nimmt den Zuschauer quasi in Geiselhaft: Immersion ist das Ziel Brechners, eintauchen in die Erfahrungen der drei Protagonisten, diese nacherfahren soll das Publikum.
Mit Zeitinserts zu den Jahren und den Tagen der Haft strukturiert Brechner „Compañeros - La noche de 12 años“. Von 1973 bis zum Ende der Diktatur 1985 und der Freilassung Huidobros, Rosencofs und Mujicas spannt sich der Bogen, 4323 Tage waren sie in Haft. Klar machen die Militärs gleich zu Anfang, dass sie nicht als Gefangene, sondern als Geiseln gelten, die bei weiteren Anschlägen der „Tupamaros“ ermordet werden. Ziel ist es, sie in den Wahnsinn zu treiben.
Nie wissen sie über den Aufenthaltsort Bescheid, werden immer wieder mit verbundenen Augen oder Säcken über dem Kopf verlegt, werden von den Wächtern schikaniert, in engen Zellen in Einzelhaft gehalten, mit Sprechverbot (auch mit den Wächtern) belegt, mit Benzin übergossen und mit Anzünden bedroht.
Der Blick in den Himmel wird durch Abdeckung der Fenster verhindert, bald sind sie aufgrund des minimalen Essens abgemagert und ausgemergelt. Eindrücklich evoziert Brechner auch mit desaturierten Farben und schmutzigen Settings die katastrophalen Haftbedingungen.
Keinen zwingenden dramaturgischen Aufbau hat der Film, da die zwölf Jahre für die Häftlinge praktisch eine einzige lange Nacht sind, ganz vom Zufall und äußeren Ereignissen hängt ab, was mit ihnen passiert. Mal lassen die Wächter die Wut über das „Nein“ des Volkes zu einer Abstimmung über die Verfassung an ihnen aus, indem sie auf sie einschlagen, mal werden die Zellen mit Tisch, Büchern und Schreibmaschine ausgestattet, weil eine Inspektion des internationalen Roten Kreuzes ansteht.
In Gedanken mögen sie bei der Befragung durch die Hilfsorganisation über Folter und demütigende Behandlung klagen, in Realität werden sie dann aber doch aus Angst vor den Folgen schweigen. Vom Besuch seiner Mutter wird Mujica träumen, während sie in der Realität in strömendem Regen vor dem Gefängnistor wartet und vom Wächter abgewiesen wird.
In kurzen Montagesequenzen verschwimmen Erinnerungen Mujicas mit brutaler Folter mit Elektroschock und Zahnbehandlung. Nur eine Rückblende bietet Einblick in die Verhaftung von Rosencof.
Und trotz dieser erschütternden Schilderung der zwölfjährigen Leidenszeit feiert der Film letztlich den unbändigen Überlebenswillen und den Erfindungsreichtum des Menschen. Nicht brechen lassen sich die drei Häftlinge, entwickeln in der Einzelhaft eine Klopfsprache, mit der sie nicht nur kommunizieren, sondern auch in Gedanken Schach spielen.
Zu durchaus absurd-komischen Szenen, mit denen die Militärdiktatur verspottet wird, kommt es dabei auch, wenn bei einem Problem eines Häftlings beim Toilettengang alle höheren Offiziere zur Lösung herbeigerufen werden oder Rosencof Wächtern beim Schreiben vom Liebesbriefen hilft.
Wirklich nahe kommt man den von Antonio de la Torre, Chino Darin und Alfonso Tort intensiv und mit großem Körpereinsatz gespielten Protagonisten allerdings letztlich nicht. Zu wenig erfährt man doch über sie, zu sehr sind sie sich selbst überlassen und auf ihre Häftlingssituation reduziert.
Eindrücklich wird aber spürbar, wenn sie gegen Ende der Haft endlich einmal in einen Gefängnishof dürfen und in der Wiese liegen, wie sehr sie das Sonnenlicht und den Blick in den Himmel, in den auch die Kamera schwenkt, vermisst haben und welch Glück es ist, dies zu genießen. So wird „Compañeros“ über die hyperrealistische Schilderung der Haft zu einem Film über die Schönheit und den Wert des Lebens, das das einzige ist, was einem letztlich in dieser Situation, in der man auf elementarste Bedürfnisse reduziert ist und es nur noch ums Überleben gehen kann, bleibt.
Und am Ende steht dann eben auch das Ende der dunklen Zeit der Diktatur und der Haft und das Volk skandiert „Das vereinte Volk wird nie besiegt werden.“ – Aber nicht nur in Freiheit kamen so Huidobro, Rosencof und Mujica, sondern stiegen – wie Inserts am Ende informieren - auch zu höchsten Ehren auf: Huidobro war von 2005 bis 2009 Vizepräsident Uruguays und von 2011 bis zu seinem Tod 2014 Verteidigungsminister, Rosencof war eine Zeit lang Kulturdirektor von Uruguays Hauptstadt Montevideo und Mujica war von 2010 bis 2015 Staatspräsident Uruguays, der unter anderem dadurch, dass er nur 10% seines Präsidentengehaltes behielt, Aufmerksamkeit erregte.
Läuft derzeit im Kinok St. Gallen
Trailer zu „Compañeros - La noche de 12 años“
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