Anja Kofmel spürt in furioser Mischung aus Animations- und Dokumentarfilm den Spuren ihres Cousins Christian Würtenberg nach, der 1992 im Jugoslawienkrieg ums Leben kam. – Bei filmingo kann das mit drei Schweizer Filmpreisen ausgezeichnete Langfilmdebüt in Österreich, Deutschland und der Schweiz gestreamt werden.
Am Beginn stehen animierte schwarzweiße Szenen und das Voice-over der Regisseurin. Sie erinnert sich, wie sie als Zehnjährige vom Tod ihres verehrten Cousins Chris erfuhr und sieht sich in einem Alptraum in einem Maisfeld. An dessen Rand begegnet sie ihrem Cousin mit seinem unverwechselbaren gestreiften Schal und seiner Zigarette. Doch Chris wird von heuschreckenartigen schwarzen Wesen verfolgt, die den 26-Jährigen zu verschlingen scheinen.
Nie losgelassen hat Kofmel der Tod ihres Cousins. Schon an der Hochschule Luzern, an der sie von 2004 bis 2008 mit Schwerpunkt Animationsfilm studierte, hat sie in ihrem vielfach ausgezeichneten kurzen animierten Abschlussfilm „Chrigi“ die Geschichte von Christian Würtenberg aufgearbeitet.
Sechs Jahre lang hat sie nun an "Chris the Swiss" gearbeitet, hat recherchiert und mischt in ihrem Animadok furios Animationsszenen, an denen in Kroatien 35 ZeichnerInnen arbeiteten, Found Footage, Interviews und heutige Bilder von Kroatien.
Als Spurensuche ist ihr Film angelegt und konsequent aus ihrer Perspektive erzählt die Filmemacherin. Von der traumatischen Erinnerung an spürt sie dem Leben ihres Cousins nach, interviewt Mutter, Vater und Bruder des Verstorbenen, bietet Einblick in die Jugend, in der er als 17-Jähriger nach Südafrika abhaute und sich der Armee des Apartheid-Regimes anschloss. Im Herbst 1991 brach er schließlich nach Kroatien auf, um als Freelancer unter anderem für "Radio 24" über den Krieg zu berichten.
Auf der Basis von Chris´ Tagebuchs und Notizen folgt sie dieser Reise von der Schweiz nach Kroatien, stellt sich in animierten Schwarzweißszenen seine Zugfahrt und Ankunft im Kriegsgebiet ebenso wie seine dortigen Erlebnisse vor. Nicht als Realität, sondern als ihre Vorstellung der Ereignisse sind diese durch die Reduktion auf Schwarzweiß und abrupt hereinbrechende Schemen immer wieder bedrückenden und beklemmenden Szenen damit markiert und mehrfach betont Kofmel auch, dass die Realität auch anders gewesen sein könnte.
Rückgrat für diese Animationsszenen sind Interviews mit Journalisten, aber auch mit Söldnern wie Heidi Rinke sowie Found-Footage vom Kriegsgeschehen und von Massakern, die diese Animationsszenen erden. Gleichzeitig wird dadurch langsam sichtbar, dass Chris in Kroatien eben nicht neutraler Beobachter blieb, sondern sich einer paramilitärischen rechtsextremen Brigade von ausländischen Söldnern anschloss, von der er ermordet wurde, als er aussteigen wollte.
Etwas viel packt Kofmel zwar in ihren formal schillernden Dokumentarfilm, wenn sie auch kurz die Geschichte Jugoslawiens seit dem Attentat von Sarajewo 1914 skizziert, den Zerfall des Ostblocks und auch die Rolle des Opus Dei anspricht, das paramilitärische Gruppen in Kroatien als östlichster Grenze des Christentums finanziell unterstützte.
Andererseits gewinnt "Chris the Swiss" aber gerade dadurch eine packende Vielschichtigkeit. Denn Kofmel zeichnet ihren Cousin keinesfalls als Heiligen, sondern deckt im Zuge ihrer Reise verstörende Risse und Veränderungen auf und macht sichtbar, wie leicht der dünne Firnis der Zivilisation in einem Krieg zerbricht. So konkret die geschilderten historischen Ereignisse dabei sind, so allgemeingültig ist dieser Animadok dabei in seiner Auseinandersetzung mit der Barbarei des Krieges, die den Menschen seine moralische Orientierung verlieren lässt und pervertiert.
Streaming auf filmingo.ch und filmingo.at sowie filmingo.de
Trailer zu "Chris the Swiss"
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