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  • AutorenbildWalter Gasperi

C´è ancora domani – Morgen ist auch noch ein Tag

Häusliche Gewalt ist ein ernstes Thema, doch Paola Cortellesi erzählt davon in ihrem 1946 spielenden Debüt, das in Italien zum Kassenschlager avancierte, mit einer Leichtigkeit und einem Einfallsreichtum, dass einem das Herz aufgeht, verharmlost das Thema aber nie.


Wach sitzt Ivano (Valerio Mastandrea) im Ehebett. Als auch seine Frau Delia (Paola Cortellesi) erwacht, erhält sie sofort eine schallende Ohrfeige. – Ein schockierender Einstieg ist dies einerseits, andererseits entwickelt die Szene durch den musikalischen Kommentar mit Fiorella Binis Cover-Version von Franca Raimondis heiterem 1950er-Jahre Hit "Aprite le fenestre" doch Leichtigkeit. Der Titel "Öffnet die Fenster" kann dabei von Anfang an als Aufforderung an Delia gelesen werden, aus ihrem ehelichen Gefängnis auszubrechen.


Neue Zeiten brechen in Italien nach der Befreiung vom Faschismus im Jahr 1945 an, doch für die Frauen scheint sich nichts geändert zu haben. Ungebrochen ist die Herrschaft der Männer und Delia wird nicht nur regelmäßig von ihrem Mann geschlagen und gedemütigt, sondern muss auch dessen tyrannischen Vater ertragen.


Nicht nur hier zeigt Cortellesi wie sich Gewalt- und Machtstrukturen fortpflanzen und vererbt werden, sondern auch später, wenn der Verlobte von Delias Tochter Marcella (Romana Maggiora Vergano) ähnliche Besitz- und Machtansprüche stellt. Das aber wird Delia nicht ertragen, denn während die beiden jüngeren Söhne nach dem brutalen Vater zu geraten scheinen und ständig fluchend durch die Wohnung rennen, geht ihr das Wohl der etwa 18-jährigen Tochter über alles.


Diese soll es einmal besser haben als sie selbst. Marcella fordert ihre Mutter zwar auf, sich endlich gegen den cholerischen Ehemann zur Wehr zu setzen oder ihn zu verlassen, doch diese nimmt alles hin, opfert sich ganz für die Familie. Neben der Hausarbeit, für die sie von Ivano stets Kritik einstecken muss, rennt sie auch von einem Nebenjob zum nächsten, um für die Familie etwas dazu zu verdienen, muss dann aber das ganze Geld ihrem Mann abliefern.


Bekommt sie einmal von einem amerikanischen Soldaten Schokolade geschenkt, wird sie von Ivano als Nutte beschimpft und verprügelt, während er selbstverständlich zu Prostituierten geht. Während Delia sich um das Glück Marcellas sorgt, geht es Ivano nur darum, dass seine Tochter eine gute Partie macht und die Familie nichts mehr kostet. Dass die Familie des Verlobten durch Kollaboration mit den Deutschen während des Kriegs zu Reichtum gekommen ist und nun arrogant auf die Kleinbürger herabschaut, stört ihn nicht.


Während Marcella früh aus der Schule genommen wurde, um durch ihre Arbeit als Bügelhilfe Geld ins Haus zu bringen, wird in die Ausbildung der Söhne, die noch vor Marcellas Hochzeit streiten, wer nun deren Bett bekommt, investiert.


Fühlen kann man aber, dass das Leben für Delia ganz anders sein könnte, wenn sie immer wieder auf der Straße einem afroamerikanischen Soldaten begegnet, der sich um sie kümmern will, mit dem aber aufgrund der fehlenden Beherrschung der jeweils anderen Sprache jede Kommunikation scheitert.


Intensiv spürbar wird auch, welche Chance sie einst mit dem Automechaniker Nino verpasst hat, wenn sie einander anblicken und die Kamera sie umkreist. Gibt es doch noch eine zweite Chance für diese immer noch glühende Liebe, denn da ist ja auch noch ein geheimnisvoller Brief, der nicht an Ivano, sondern direkt an Delia gerichtet ist und den sie deshalb öffnen darf und vor ihrem Mann versteckt.


Dicht evoziert Paola Cortellesi, die bei ihrem Regiedebüt auch die Hauptrolle spielt, in bestechenden Schwarzweißbildern (Kamera: Davide Leone) die Atmosphäre der unmittelbaren Nachkriegszeit. Auch mit dem klassischen 4:3-Format knüpft sie dabei zunächst an die Filme dieser Zeit an, um dann das Bild auf Breitwand zu weiten. Ganz am so genannten "Neorealismo rosa" und der Commedia all’italiana der 1950er und frühen 1960er Jahre orientiert sie sich dabei, wenn sie im Gewand einer leichten Komödie vom Alltag der einfachen Leute erzählt.


Gleichzeitig wirkt "C´è ancora domani" mit seinem erzählerischen Einfallsreichtum und seinen überraschenden Wendungen aber auch nie verstaubt, sondern bietet mitreißendes modernes Kino. Da setzt Cortellesi nicht nur Zeitlupe ein, um Momente zu akzentuieren, sondern kommentiert vor allem immer wieder bedrückende Szenen bissig mit Songs der amerikanischen Rockband The Jon Spencer Blues Explosion, der britischen Singer-Songwriterin Angela McCluskey, des amerikanischen Hip-Hop-Duos OutKast und italienischer Sänger wie Lucio Dalla, Daniele Silvestri und Fabio Concato.


Frisch und aufregend macht dieser Mix aus stimmiger Nachkriegsschilderung und modernen Songs, die die Prügelszenen teils in Tanzszenen übergehen lassen, dieses Debüt. Der feministische Impetus ist unübersehbar, wirkt aber nie prätentiös, sondern entwickelt sich ganz selbstverständlich aus der Geschichte. Souverän arbeitet Cortellesi dabei auch immer wieder mit den Mitteln des Suspense, wenn sich in Parallelmontag ein Rennen gegen die Zeit entwickelt und die Zuschauer:innen durch ihren Wissensvorsprung um das Glück und Wohl Delias, die man rasch ins Herz schließt, zittern.


Kein Wunder ist angesichts dieser Qualitäten, dass sich "C´è ancora domani" in Italien zum Kassenschlager entwickelte und mit über fünf Millionen verkauften Tickets erfolgreicher war als "Oppenheimer" und "Barbie". Denn hier wird großes Unterhaltungskino perfekt mit Engagement verbunden und mag die Geschichte auch in der Vergangenheit angesiedelt sein, so ist der Film mit dem Thema häusliche Gewalt und dem entschiedenen Plädoyer für ein Aufbegehren gegen die Männerherrschaft und Kampf für Unabhängigkeit und Gleichberechtigung doch leider immer noch auf der Höhe der Zeit.


C´è ancora domani – Morgen ist auch noch ein Tag

Italien 2023

Regie: Paola Cortellesi

mit: Paola Cortellesi, Valerio Mastandrea, Romana Maggiora Vergano, Giorgio Colangeli, Vinicio Marchioni, Francesco Centorame, Raffaele Vannoli Länge: 118 min.



Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino Schaan. TaSKino Feldkirch im Kino GUK: 10. bis 13.5. Filmforum Bregenz im Metrokino Bregenz: Mi 5.6., 20 Uhr


Trailer zu "C´è ancora domani - Morgen ist auch noch ein Tag"



 

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