Cยดรจ ancora domani โ Morgen ist auch noch ein Tag
- Walter Gasperi
- 10. Apr. 2024
- 4 Min. Lesezeit

Hรคusliche Gewalt ist ein ernstes Thema, doch Paola Cortellesi erzรคhlt davon in ihrem 1946 spielenden Debรผt, das in Italien zum Kassenschlager avancierte, mit einer Leichtigkeit und einem Einfallsreichtum, dass einem das Herz aufgeht, verharmlost das Thema aber nie.
Wach sitzt Ivano (Valerio Mastandrea) im Ehebett. Als auch seine Frau Delia (Paola Cortellesi) erwacht, erhรคlt sie sofort eine schallende Ohrfeige. โ Ein schockierender Einstieg ist dies einerseits, andererseits entwickelt die Szene durch den musikalischen Kommentar mit Fiorella Binis Cover-Version von Franca Raimondis heiterem 1950er-Jahre Hit "Aprite le fenestre" doch Leichtigkeit. Der Titel "รffnet die Fenster" kann dabei von Anfang an als Aufforderung an Delia gelesen werden, aus ihrem ehelichen Gefรคngnis auszubrechen.
Neue Zeiten brechen in Italien nach der Befreiung vom Faschismus im Jahr 1945 an, doch fรผr die Frauen scheint sich nichts geรคndert zu haben. Ungebrochen ist die Herrschaft der Mรคnner und Delia wird nicht nur regelmรครig von ihrem Mann geschlagen und gedemรผtigt, sondern muss auch dessen tyrannischen Vater ertragen.
Nicht nur hier zeigt Cortellesi wie sich Gewalt- und Machtstrukturen fortpflanzen und vererbt werden, sondern auch spรคter, wenn der Verlobte von Delias Tochter Marcella (Romana Maggiora Vergano) รคhnliche Besitz- und Machtansprรผche stellt. Das aber wird Delia nicht ertragen, denn wรคhrend die beiden jรผngeren Sรถhne nach dem brutalen Vater zu geraten scheinen und stรคndig fluchend durch die Wohnung rennen, geht ihr das Wohl der etwa 18-jรคhrigen Tochter รผber alles.
Diese soll es einmal besser haben als sie selbst. Marcella fordert ihre Mutter zwar auf, sich endlich gegen den cholerischen Ehemann zur Wehr zu setzen oder ihn zu verlassen, doch diese nimmt alles hin, opfert sich ganz fรผr die Familie. Neben der Hausarbeit, fรผr die sie von Ivano stets Kritik einstecken muss, rennt sie auch von einem Nebenjob zum nรคchsten, um fรผr die Familie etwas dazu zu verdienen, muss dann aber das ganze Geld ihrem Mann abliefern.
Bekommt sie einmal von einem amerikanischen Soldaten Schokolade geschenkt, wird sie von Ivano als Nutte beschimpft und verprรผgelt, wรคhrend er selbstverstรคndlich zu Prostituierten geht. Wรคhrend Delia sich um das Glรผck Marcellas sorgt, geht es Ivano nur darum, dass seine Tochter eine gute Partie macht und die Familie nichts mehr kostet. Dass die Familie des Verlobten durch Kollaboration mit den Deutschen wรคhrend des Kriegs zu Reichtum gekommen ist und nun arrogant auf die Kleinbรผrger herabschaut, stรถrt ihn nicht.
Wรคhrend Marcella frรผh aus der Schule genommen wurde, um durch ihre Arbeit als Bรผgelhilfe Geld ins Haus zu bringen, wird in die Ausbildung der Sรถhne, die noch vor Marcellas Hochzeit streiten, wer nun deren Bett bekommt, investiert.
Fรผhlen kann man aber, dass das Leben fรผr Delia ganz anders sein kรถnnte, wenn sie immer wieder auf der Straรe einem afroamerikanischen Soldaten begegnet, der sich um sie kรผmmern will, mit dem aber aufgrund der fehlenden Beherrschung der jeweils anderen Sprache jede Kommunikation scheitert.
Intensiv spรผrbar wird auch, welche Chance sie einst mit dem Automechaniker Nino verpasst hat, wenn sie einander anblicken und die Kamera sie umkreist. Gibt es doch noch eine zweite Chance fรผr diese immer noch glรผhende Liebe, denn da ist ja auch noch ein geheimnisvoller Brief, der nicht an Ivano, sondern direkt an Delia gerichtet ist und den sie deshalb รถffnen darf und vor ihrem Mann versteckt.
Dicht evoziert Paola Cortellesi, die bei ihrem Regiedebรผt auch die Hauptrolle spielt, in bestechenden Schwarzweiรbildern (Kamera:ย Davide Leone) die Atmosphรคre der unmittelbaren Nachkriegszeit. Auch mit dem klassischen 4:3-Format knรผpft sie dabei zunรคchst an die Filme dieser Zeit an, um dann das Bild auf Breitwand zu weiten. Ganz am so genannten "Neorealismo rosa" und der Commedia allโitaliana der 1950er und frรผhen 1960er Jahreย orientiert sie sich dabei, wenn sie im Gewand einer leichten Komรถdie vom Alltag der einfachen Leute erzรคhlt.
Gleichzeitig wirkt "Cยดรจ ancora domani" mit seinem erzรคhlerischen Einfallsreichtum und seinen รผberraschenden Wendungen aber auch nie verstaubt, sondern bietet mitreiรendes modernes Kino. Da setzt Cortellesi nicht nur Zeitlupe ein, um Momente zu akzentuieren, sondern kommentiert vor allem immer wieder bedrรผckende Szenen bissig mit Songs der amerikanischen Rockband The Jon Spencer Blues Explosion, der britischen Singer-Songwriterin Angela McCluskey, des amerikanischen Hip-Hop-Duos OutKast und italienischer Sรคnger wie Lucio Dalla, Daniele Silvestri und Fabio Concato.
Frisch und aufregend macht dieser Mix aus stimmiger Nachkriegsschilderung und modernen Songs, die die Prรผgelszenen teils in Tanzszenen รผbergehen lassen, dieses Debรผt. Der feministische Impetus ist unรผbersehbar, wirkt aber nie prรคtentiรถs, sondern entwickelt sich ganz selbstverstรคndlich aus der Geschichte. Souverรคn arbeitet Cortellesi dabei auch immer wieder mit den Mitteln des Suspense, wenn sich in Parallelmontag ein Rennen gegen die Zeit entwickelt und die Zuschauer:innen durch ihren Wissensvorsprung um das Glรผck und Wohl Delias, die man rasch ins Herz schlieรt, zittern.
Kein Wunder ist angesichts dieser Qualitรคten, dass sich "Cยดรจ ancora domani" in Italien zum Kassenschlager entwickelte und mit รผber fรผnf Millionen verkauften Tickets erfolgreicher war als "Oppenheimer" und "Barbie". Denn hier wird groรes Unterhaltungskino perfekt mit Engagement verbunden und mag die Geschichte auch in der Vergangenheit angesiedelt sein, so ist der Film mit dem Thema hรคusliche Gewalt und dem entschiedenen Plรคdoyer fรผr ein Aufbegehren gegen die Mรคnnerherrschaft und Kampf fรผr Unabhรคngigkeit und Gleichberechtigung doch leider immer noch auf der Hรถhe der Zeit.
Cยดรจ ancora domani โ Morgen ist auch noch ein Tag
Italien 2023
Regie: Paola Cortellesi
mit: Paola Cortellesi, Valerio Mastandrea, Romana Maggiora Vergano, Giorgio Colangeli, Vinicio Marchioni, Francesco Centorame, Raffaele Vannoli Lรคnge: 118 min.
Lรคuft derzeit in den Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino Schaan. TaSKino Feldkirch im Kino GUK: 10. bis 13.5. Filmforum Bregenz im Metrokino Bregenz: Mi 5.6., 20 Uhr
Trailer zu "Cยดรจ ancora domani - Morgen ist auch noch ein Tag"
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