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AutorenbildWalter Gasperi

Auf der Couch in Tunis

Aktualisiert: 15. März 2021


Golshifteh Farahani brilliert in Manele Labidis Komödie als tunesischstämmige Psychoanalytikerin, die von Paris in ihre Heimat zurückkehrt, um dort eine Praxis zu eröffnen. – Ein Vorhaben, das Gelegenheit bietet, um leichthändig Einblick in vielfältige persönliche und gesellschaftliche Probleme im nordafrikanischen Staat zu bieten.


Mit zehn Jahren hat Selma mit ihrem Vater ihre Heimat Tunesien verlassen und sich in Paris niedergelassen. Nun kehrt sie als Psychoanalytikerin in das Land zurück, das scheinbar alle am liebsten möglichst schnell in Richtung Frankreich verlassen wollen.


Gute Berufschancen verspricht sich Selma (Golshifteh Farahani) hier, gibt es doch in Tunesien ganz im Gegensatz zu Paris nur wenige Psychoanalytiker. Wenig begeistert sind von ihrer Rückkehr zwar ihre Tante und deren Mann, bei denen die junge Frau im großen Haus einzieht und auf der Dachterrasse und in ihrem Dachzimmer ihre Praxis einrichtet und neben einer Couch ein Bild von Sigmund Freud aufhängt. Rasch will man sie loswerden, doch Selma steckt nicht so schnell den Kopf in den Sand.


Zwar gilt die Meinung „Wir haben Gott, wir brauchen diesen Quatsch nicht“, dennoch stellen sich rasch zahlreiche Patienten und Patientinnen ein, herrscht einerseits nach dem Sturz der Diktatur im Jahr 2011, andererseits auch aufgrund der strengen Normen hinsichtlich der Sexualität doch Redebedarf. Letztere bekommt auch Selma zu spüren, als sie von der Polizei wegen Couch und privatem Zimmer rasch der Prostitution verdächtigt wird.


Mit flottem Chanson, kräftigen Farben und warmem Licht stimmt schon der Vorspann, der von Selmas Einzug begleitet wird, auf einen lockeren Sommerfilm ein. Erst gegen Ende werden die Töne mit sanftem Jazz auch melancholischer und auch Selma selbst, in deren Biographie man beiläufig in Gesprächen sukzessive Einblick bekommt, wird dann über ihre Identität reflektieren müssen.


Bis es dazu kommt, stehen aber die Therapiesitzungen und alltägliche Probleme im Zentrum. Da öffnet sich die Chefin eines erfolgreichen Schönheitssalons ebenso über ihre gestörte Mutterbeziehung wie ein suizidgefährdeter Mann über seine Depression, in den ihn die Entlassung als Imam und die Trennung von seiner Frau stürzte. Ein anderer wieder glaubt überall vom Geheimdienst der Diktatur oder auch vom Mossad verfolgt zu werden und bei einem Bäcker bricht langsam seine verdrängte Homosexualität durch.


Auf privater Ebene gibt es wiederum Probleme mit Selmas vor der Matura stehenden Cousine Olfa, die nur weg aus Tunesien will und dafür zum Schein sogar einen homosexuellen Freund heiratet, während ein Polizist der Psychoanalytikerin zusetzt, da ihr die staatliche Bewilligung für die Führung ihrer Praxis fehlt. Der entsprechende Antrag wiederum wird beim Gesundheitsamt, in dem scheinbar vor allem Pause gemacht wird, allerdings ständig verschleppt. Und Selmas Großvater ist immer noch begeisterter Anhänger von Diktator Ben Ali, dessen Sturz ihm ähnlich wie der Fall der DDR in „Goodbye, Lenin“ verschwiegen wurde.


Mit leichter Hand verbindet die 1982 als Tochter tunesischer Einwanderer in Frankreich geborene Manele Labidi in ihrem Debüt so eine Fülle von Figuren und Problemen. Ausgelotet wird dabei freilich wenig, aber ein breites Panorama wird gezeichnet, das den Eindruck zurücklässt, dass ganz Tunesien reif für eine psychoanalytische Sitzung ist.


Zusammengehalten wird dieser bunte Reigen, der mehr von locker dahingetupften Episoden als von stringenter Handlungsführung lebt, von der großartigen Golshifteh Farahani in der Hauptrolle. Sie vermittelt den Glauben Selmas an einen Neustart ebenso überzeugend wie ihre langsame Enttäuschung, macht ihre Zerrissenheit zwischen den Kulturen, die langsam durchbricht, spürbar und darf am Ende in dieser frischen und unverkrampften Komödie von einem Happy End zumindest träumen.


Wird am 7.4. im Rahmen der LeinwandLounge in der Remise Bludenz gezeigt.


Trailer zu "Auf der Couch in Tunis"


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