Offiziell ist Brautraub in Kirgisistan verboten, aber dennoch weit verbreitete Praxis. Maria Brendle erzählt in ihrem für den Oscar nominierten Kurzspielfilm am Schicksal der 19-järhigen Sezim aufs Wesentliche verknappt, aber gerade dadurch eindringlich von gesellschaftlichem Druck und Sehnsucht nach weiblicher Selbstbestimmung.
Gerade einmal 38 Minuten lang ist der Kurzspielfilm der 1983 in Singen am Bodensee geborenen Maria Brendle in der offiziellen Kinofassung, zehn Minuten länger ist der Director´s Cut. Kein Platz ist hier für ausladende Szenen, sondern aufs Wesentliche verknappt muss die Erzählung werden – und die 38-jährige Regisseurin beherrscht diese Kunst meisterhaft und verleiht "Ala Kachuu" gerade dadurch Nachdruck.
Man spürt in jeder Szene die sorgfältige, zweijährige Recherche, die hinter diesem Film steckt. Aus den Geschichten mehrerer Frauen hat Brendle ein dichtes Einzelschicksal kondensiert, an dem sie eindringlich Einblick in die Unterdrückung der Frau in Kirgisistan bietet. Zwar ist Ala Kachuu, wie der Brautraub im Kirgisischen heißt, offiziell verboten, doch werden verschiedenen Schätzungen zufolge 20 bis 50% aller Ehen im zentralasiatischen Land auf diese Art geschlossen.
Schon die erste Einstellung vermittelt mit der rennenden 19-jährigen Sezim (Alina Turdumamatova) das Gefühl einer Flucht, doch es handelt sich nur um ein Spiel mit ihrer kleineren Schwester Aygul. Nur mit ihr kann die junge Frau unbeschwert sein, während ihre Mutter kein Gehör hat für ihren Wunsch zu studieren und klar erklärt, dass sie sich auf eine baldige Heirat einstellen und vorbereiten soll.
So schleicht Sezim nachts aus dem Dorf in die Hauptstadt Bischkek, findet Unterkunft bei ihrer Freundin Aksana (Madina Talipbekova), die schon früher das Dorf verlassen hat und nun in einem Hotel arbeitet. Sie macht die Aufnahmsprüfung für die Uni und findet einen Job als Aushilfe in einer Bäckerei.
Gedrängt ist die Erzählweise. Zwei bis drei Einstellungen reichen Brendle für die Schilderung der Prüfung oder für die Vermittlung von Aksanas modernem westlichen Leben. Auch ein kurzer Kurs im Autofahren durch Aksana wird hier später Funktion haben. – Nichts ist hier überflüssig, wunderbar ökonomisch und mit größter Stringenz ist das inszeniert.
Schon in der nächsten Szene wird Sezim von drei Männern auf der Straße überwältigt, in ein Auto gezerrt, in ein Dorf auf dem Land gefahren und mit einem der Männer verheiratet. Keine ausladende Hochzeitsszene gibt es hier, sondern Brendle fokussiert auf der Wut und Trauer Sezims, die sich dieser Zwangsverheiratung nicht entziehen kann. Nicht nur die Frauen des Dorfes zeigen kein Verständnis für ihre Weigerung, sondern auch ihre eigenen Eltern wollen sie bei einem späteren Besuch nicht abholen, sondern fordern sie auf, sich in ihre Rolle als Ehefrau zu fügen.
Sichtbar wird aber auch der gesellschaftliche Druck, wenn Sezims Mutter Ächtung in ihrem Dorf fürchtet, Aksanas Mutter schon eine Ausgestoßene ist und ihrerseits wieder jede Beziehung zu ihrer Tochter verweigert und sie bei einem Besuch verjagt. Aber auch der Bräutigam erscheint als ein Gefangener in Traditionen, wenn er erklärt, dass er für die schon vorbereitete Hochzeit eine Braut herbeischaffen musste. Aus reinem Zufall geriet er so an Sezim.
Leicht könnte der Film einer Mitteleuropäerin über diese archaische Gesellschaft in Exotismus abgleitet, doch jeden Anflug davon vermeidet Brendle in der komprimierten Erzählweise. Bestechend wird die Handlung zwar in eine malerische Landschaft eingebettet, aber mit messerscharfem Blick wird sukzessive das Bild der repressiven Gesellschaft geweitet und deren Einengung Sezims unbeugsamer Wille nach Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung gegenübergestellt.
Wie im Film gezeigt, geschieht der Brautraub auch meist mit Zustimmung der Familie sowohl des Bräutigams als auch der Braut. Und wie im Film ist auch in der Realität kaum Flucht aus der Ehe möglich, da diese zu gesellschaftlicher Stigmatisierung führt.
Brendle aber lässt ihr durch den ungeschminkten Realismus packendes Drama, bei dem im Finale auch gekonnt mit den Mitteln des Thrillers Spannung aufgebaut wird, nicht hoffnungslos enden. Geschickt wählt sie einen Schluss, der nichts klar festlegt, aber Sezim Möglichkeiten für die Zukunft offen lässt.
Ala Kachuu – Take and Run Schweiz 2020 Regie: Maria Brendle mit: Alina Turdumamatova, Nurbek Esengazy Uulu, Madina Talipbekova, Taalaykan Abazova, Aybike Erkinbekova, Sheker Joomartova Länge: 48 min.
Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino Schaan
Trailer zu "Ala Kachuu - Take and Run"
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