top of page
  • AutorenbildWalter Gasperi

70. Berlinale: Neue Leitung, gleiches Programm

Aktualisiert: 1. März 2020


Wie ein Messias wurde der frühere Locarno-Leiter Carlo Chatrian an der Spree erwartet, doch zumindest das Programm des Wettbewerbs der 70. Berlinale (20.2. – 1.3. 2020) unterscheidet sich kaum von dem seines vielgescholtenen Vorgängers Dieter Kosslick.


Immer wieder heftig kritisiert wurde Dieter Kosslick, der von 2001 bis 2019 die Berlinale leitete, wegen der mediokren Qualität des Wettbewerbs um den Goldenen Bären. Einen großen Aufbruch erwartete man von der Ernennung des Italieners Carlo Chatrian, der zuvor dem Filmfestival von Locarno mit einem kantigen Wettbewerbsprogramm starkes Profil verliehen hatte, zum künstlerischen Leiter und der Niederländerin Mariette Rissenbeek zur Geschäftsführerin des größten deutschen Filmfestivals: Die nun präsentierten 18 Filme könnten aber nun durchaus auch die Wahl ihres Vorgängers sein.


Die großen Namen, von denen man in den Programmen Kosslicks, immer wieder schwächere Werke fand, fehlen zwar in der Auswahl, gespickt ist das Programm dafür mit Berlinale-Stammgästen. Christian Petzold darf mit seinem neuen Film „Undine“, in dem wie in „Transit“ Paula Beer und Franz Rogowski die Hauptrollen spielen, da ebenso wenig fehlen wie Burhan Qurbani mit einer Neuverfilmung von „Berlin Alexanderplatz“, der Koreaner Hong-Sangsoo mit „The Woman Who Ran“ oder die Britin Sally Potter mit „The Roads Not Taken“. Auch der Taiwanese Tsai Ming-Liang, der sich nach Jahren des Schweigens mit „Days“ zurückmeldet, war schon einmal im Berlinale-Wettbewerb vertreten.


Auffallend ist freilich der Verzicht auf große US-Produktionen, die bei Kosslick meistens außer Konkurrenz liefen, dafür wurden mit „First Cow“ von Kelly Reichardt und „Never Rarely Sometimes Always“ zwei kleine US-Filme eingeladen, die freilich schon letzten Herbst beziehungsweise beim heurigen Sundance Filmfestival ihre Premiere feierten.


Insgesamt sieht das Wettbewerbsprogramm so vom Papier her nach dem üblichen Mix aus. Der fast obligate iranische Beitrag wird von Mohammad Rasoulof mit „There Is No Evil“ beigesteuert, für Star-Power, mit der das Festival insgesamt auf den ersten Blick weniger Punkten kann als in den letzten Jahren, sorgt Willem Dafoe, der die Hauptrolle in Abel Ferraras „Siberia“ spielt.


Auch geographisch gibt es die gewohnte Streuung: Lateinamerika ist mit der argentinisch-mexikanischen Koproduktion „El prófugo“ von Natalia Meta und der brasilianisch-französischen Koproduktion „Todos os mortos“ von Caetano Gotardo und Marco Dutra, Osteuropa mit „DAU. Natasha“ von Ilya Khrzhanovskiy und Jekaterina Oertel und Frankreich mit Philipp Garrels „Le sel des larmes“ und Benoît Delépines und Gustave Kerverns „Effacer l´historique“ vertreten.


Gespannt sein darf man auf „Irradiés“ des Kambodschaners Rithy Panh, der zusammen mit Tsai Ming-Liang für die ästhetisch radikalsten Filme des Wettbewerbs sorgen könnte. Auffallend ist, dass mit "Favolacce" von Damiano und Fabio D´Innocenzo und Giorgio Dirittis „Volveo nascondermi“ zwei Filme aus Italien in den Wettbewerb aufgenommen wurden, ein Umstand, der mit der Herkunft Chatrians zusammenhängen könnte.


Hoffnungen auf einen der begehrten Bären darf sich auch die Schweiz machen, startet doch der mit Nina Hoss und Lars Eidinger prominent besetzte „Schwesterlein“ von Stéphanie Chuat und Véronique Reymond im Wettbewerb. Das Regie-Duo erzählt darin von Zwillingen, von denen einer an Leukämie erkrankt.


Neu ist ein zweiter Wettbewerb mit dem Titel „Encounters“, der ästhetisch und strukturell wagemutigen Arbeiten von unabhängigen, innovativen Filmschaffenden eine Plattform bieten soll. 15 Filme, davon 14 Weltpremieren werden hier präsentiert. Neben zahlreichen (noch) unbekannten Regisseuren, finden sich auch bekannte Namen wie Alexander Kluge, der den zusammen mit dem philippinischen Sänger, Poeten und Filmemacher Khavn de la Cruz entstandenen „Orphea“ präsentiert, Heinz Emigholz („Die letzte Stadt“), der Rumäne Cristi Puiu („Malmkrog“) und der Argentinier Matías Pineiro („Isabella“). Österreich ist in dieser Sparte mit „The Trouble With Being Born“ der Steirerin Sandra Wollner, die schon mit ihrem Langfilmdebüt „Das unmögliche Bild“ für Aufsehen sorgte, vertreten.


In der Sparte „Berlinale Specials“, die Filme für ein breites Publikum bieten soll, wird Matteo Garrones „Pinocchio“ ebenso seine Uraufführung erleben wie Agnieszka Hollands „Charlatan“, ein Dokumentarfilm über Hillary Clinton („Hillary“ von Nanette Burstein) oder Philippe Falardeaus „My Salinger Year“, mit dem das Festival auch eröffnet wird.


Zu den wenigen bekannten Namen im 23 Spiel- und 12 Dokumentarfilme umfassenden Panorama zählen die Schweizerin Andrea Staka, die mit „Mare“ ihren nach dem Locarno-Sieger „Das Fräulein“ und „Cure – Das Leben einer anderen“ dritten Spielfilm vorstellt, und das österreichische Regie-Duo Tizza Covi und Rainer Frimmel, dessen Dokumentarfilm „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“ in diesem Rahmen seine Weltpremiere feiern wird. Österreich ist in dieser Programmschiene auch mit dem Dokumentarfilm „Jetzt oder morgen“ vertreten, in dem Lisa Weber über drei Jahre hinweg den Alltag eines Mädchens dokumentiert, das mit 15 Mutter wurde.


Das „Internationale Forum des Jungen Films“ feiert sein 50. Jubiläum mit einem Jubiläumsprogramm, das unter anderem Filme von Nagisa Oshima, Theo Angelopoulos, Luchino Visconti und Chris Marker beinhaltet, zeigt daneben aber auch 35 aktuelle Produktionen. Auch hier sind die großen Namen eher dünn gesagt (James Benning mit „Maggies Farm“), sodass man sich überraschen lassen muss.


Neben einem Einblick in aktuelle Serien und einer Programmschiene für Kurzfilme bietet die Berlinale unter dem Titel „Generation“ auch wiederum ein vielfältiges Programm einerseits für Kinder bis 14 Jahren und andererseits für ältere Jugendliche.


Dazu kommt die „Perspektive Deutsches Kino“, die vier Dokumentar- und vier Spielfilme von deutschen Newcomern präsentiert, während die Retrospektive mit 35 Filmen Einblick in das Schaffen des Amerikaners King Vidor bietet, der in der Stummfilmzeit mit „The Big Parade“ und „The Crowd“ ebenso Meisterwerke schuf wie im Tonfilm mit den Western „Duel in the Sun“ und „Man Without a Star“.


bottom of page