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AutorenbildWalter Gasperi

Äußere Bewegung und innere Entwicklung: Roadmovies


Kino ist 24 Bilder pro Sekunde und damit ist Kino eine Kunst der Bewegung und der Veränderung. Was würde sich mehr anbieten als mit den bewegten Bildern auch eine äußere Bewegung abzubilden, die gleichzeitig wiederum von einer inneren Bewegung und Wandlung der Protagonist*innen erzählt. – Das St. Galler Kinok lädt beim heurigen Open-Air mit 15 Filmen zu einem Streifzug durch das Genre des Roadmovies ein.


Ob man nun den amerikanischen Begriff "Movie" nimmt oder den deutschen "Kino" – die Bewegung ist schon in den zugrunde liegenden Wörtern enthalten, im lateinischen "movere" ebenso wie im griechischen "kinesis". Ist hier zunächst die Bewegung der Bilder gemeint, der Fluss von 24 Einzelaufnahmen pro Sekunde, durch den die Trägheit des Auges ausgenützt wird und der Eindruck einer fließenden Bewegung entsteht, so erzählt das Kino doch immer wieder von realen äußeren Bewegungen und will gleichzeitig auch immer innerlich bewegen und – wieder wären wir beim "movere" - Emotionen auslösen.


Das Roadmovie spielt auf vielen Ebenen mit dieser Bewegung, ist keine Gattung, die einer bestimmten Epoche und einem Land zugeordnet werden kann, sondern so universell wie der Prototyp dieser Erzählweise. Die Geschichte eines Mannes "on the road" oder vielmehr "on the sea" stellt nämlich immerhin den Beginn der europäischen Literatur dar und von Homers "Odyssee" lässt sich problemlos der Bogen zu John Fords "The Searchers" (1956), Wim Wenders´ "Paris, Texas" (1984) oder "O Brother, Where Art Thou" (2000), bei dem sich die Coen-Brüder explizit auf die "Odyssee" beziehen, schlagen. Die äußere Bewegung, die Reise, ist immer nur ein Weg zu sich, zum Glück oder zur Utopie der Heimat.


Im Kino sind vor allem die Amerikaner "on the road", ist ihre Geschichte doch im Gegensatz zum statischen Europa entscheidend vom Zug nach Westen geprägt. "Go West" war nicht nur ein Ruf, sondern auch der Titel mehrerer Filme und nicht nur im Western, sondern auch in John Fords Steinbeck-Verfilmung "The Grapes of Wrath" (1939) wird von diesem Aufbruch ins vermeintlich "Gelobte Land" erzählt.


Bezeichnend ist, dass in Amerika-kritischen Filmen diese Westbewegung auf den Kopf gestellt wird. So fahren Peter Fonda und Dennis Hopper in "Easy Rider" (1969) zwar durch klassische Westernlandschaften, doch in entgegengesetzter Richtung. L.A. ist hier Ausgangspunkt und New Orleans das Ziel. Ganz im Gegensatz zum amerikanischen Mythos führt die Reise nicht in ein freies Land, sondern in ein engstirniges und somit auch nicht in eine glückliche Zukunft, sondern in den Tod.


Im Anschluss an die Träume vom Paradies und vom Gelobten Land im Western erzählen die amerikanischen Roadmovies ab den 1960er Jahren immer wieder vom Ausbruch aus der reglementierten Welt. Die Highways werden zum Schauplatz, an dem das Gangsterpärchen in Arthur Penns "Bonnie and Clyde" (1967), die jungen Männer in Monte Hellmans "Two Lane Blacktop" (1971) oder die Protagonistinnen von Ridley Scotts "Thelma and Louise" (1991) ihre Freiheit suchen.


Geht es bei "Thelma and Louise" um die Selbstermächtigung und Rebellion zweier Frauen gegen eine machistische Männerwelt, so nützt Peter Farrelly in "The Green Book" (2018) eine Reise durch die amerikanischen Südstaaten der 1960er Jahre, um von Rassismus, aber auch von der Wandlung eines rassistischen italoamerikanischen Chauffeurs durch seine Reise mit einem afroamerikanischen Jazz-Pianisten zu erzählen.


Auf die Ränder der US-Gesellschaft blickt dagegen Chloe Zhao in "Nomadland" (2020), in dem Frances McDormand als moderne Nomadin mit ihrem weißen Van durch die Weiten des amerikanischen Westens fährt und dabei immer wieder auf, von Laien gespielte andere Nomaden trifft. Eine Wandlung der Protagonistin spielt dabei keine Rolle, denn das Reisen ist hier Selbstzweck und eine Lebensform an sich.


Offen sind dabei Roadmovies auch immer in ihrer Dramaturgie, erzählen selten eine stringente Geschichte, sondern bieten Möglichkeiten zum Mäandern und leichthändig immer wieder neue Episoden aneinander zu reihen.


Unterschiedlichste Begegnungen macht so der junge, aus wohlhabendem Haus stammende Medizinstudent Ernesto Che Guevara in Walter Salles´ "Diarios de motocicleta" (2004) auf seiner Reise quer durch Lateinamerika. Wichtiger als die wechselnden Landschaften, die in den Roadmovies immer auch für Sehgenuss sorgen, ist dabei freilich die innere Wandlung Guevaras, der durch die Einblicke in Armut und Ausbeutung sein revolutionäres Bewusstsein entwickelt.


Zu Hauptdarstellern können dabei vielfach auch die Fahrzeuge werden, mit denen die Protagonist*innen unterwegs sind. Wie "Easy Rider" ohne Harley Davidson nicht vorstellbar ist, so machte die Reise Ches die Norton 18 bekannt und in Clara Laws "The Goddess of 1967" (2000) verweist schon der Titel auf den legendären Citroën DS, während die beiden deutschen Student*innen in Hans Weingartners "303" mit einem Mercedes Hymer 303 von Berlin bis an die Westspitze Europas unterwegs sind.


Und wie sich Jule und Jan bei Weingartner zunächst nicht viel zu sagen haben und sie in ihm nur eine Mitfahrgelegenheit sieht, sich aber im Gespräch und den Reibungen langsam Gefühle entwickeln, so erhält man auch in "The Goddess of 1967" im Zuge einer fünftägigen Reise durch Australien Einblicke in die Psyche eines japanischen Autonarrs und seiner blinden jungen Mitfahrerin.


Quer durch den australischen Outback geht es auch in Stephen Elliotts "The Adventures of Priscilla, Queen of the Desert" (1993), in dem zwei Transvestiten und ein Transsexueller auf ihrer Fahrt durch die Einöde nicht nur mit einer feindseligen Umwelt, sondern auch mit ihren eigenen Ängsten und Unsicherheiten konfrontiert werden.


Aki Kaurismäki schickt dagegen im lakonischen „Ariel“ (1988) einen Arbeitslosen auf einen Roadtrip von Nordfinnland nach Helsinki und in Andrea-Maria Dusls „Blue Moon“ (2002) flüchtet Josef Hader als Geldbote vor einem Mafioso von Wien quer durch Osteuropa.


Dass so eine Reise auch familientherapeutische Funktion haben kann, zeigen Markus Gollers "25 km/h" (2018) und Benoît Delépine und Gustave Kerverns "Saint Amour" (2016). Während sich in ersterem auf einer Fahrt durch Deutschland zwei unterschiedliche Brüder nach über 30 Jahren wieder näher kommen, versucht in "Saint Amour" ein Bauer seine Beziehung zu seinem frustrierten Sohn auf einer Weinreise durch Frankreich zu verbessern.


Wie man bei "25km/h" sieht, kommt es beim Roadmovie auch nie auf die Geschwindigkeit und das möglichst schnelle Erreichen eines Zieles an. Gerade die Langsamkeit, wie die Fahrt mit einem Mofa und die Auszeit vom Alltag ermöglicht es, sich auf den anderen einzulassen. Aber auch die huit clos-Situation einer gemeinsamen Fahrt sorgt angesichts der vielfach gegensätzlichen Charaktere nicht nur für spannende Reibungen, sondern auch für eine langsame Annäherung.


Und zu den emotionalen Entwicklungen zwischen den Charakteren kommt immer auch die wechselnde Landschaft: Innen und außen ist hier immer wieder alles in Bewegung und mit dem äußeren Weg nach vorne korrespondiert die innere Entwicklung der Figuren.


Trailer zu "Diarios de motocicleta - Motorcycle Diaries"


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