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AutorenbildWalter Gasperi

Àma Gloria

Mit größtem Feingefühl erzählt Marie Amachoukeli in ihrem zweiten Spielfilm von der innigen Beziehung zwischen einem sechsjährigen Mädchen und ihrem kapverdischen Kindermädchen: Ein durch die natürlichen Hauptdarstellerinnen und die Nähe zu den Protagonistinnen berührendes und zutiefst bewegendes Kleinod.


Ganz nah dran ist die Kamera von Inès Tabarin an der sechsjährigen Cléo (Louise Mauroy-Panzani), wenn ein Augenarzt ihre Sehkraft testet. Keinen Überblick bekommt man über die Ordination, Großaufnahmen des Gesichts des Mädchens bestimmen nicht nur diese Eröffnungsszene.


Wie "Àma Gloria" mit diesem Auftakt unvermittelt einsetzt, so werden auch in der Folge Hintergründe und Umfeld weitgehend ausgespart bleiben. Der Fokus liegt ganz auf der Beziehung des Mädchens zu seinem kapverdischen Kindermädchen Gloria (Ilça Moreno Zego). Erst spät und eher beiläufig wird man erfahren, dass Cléos Mutter früh verstorben ist, der Vater wird eine Randfigur bleiben.


Gloria holt das Mädchen von der Schule ab, tröstet es, wenn es auf dem Spielplatz stürzt, spielt mit ihm, bringt ihm im Badezimmer einige Worte ihrer kreolischen Muttersprache bei. Quasidokumentarisch wirkt Amachoukelis Spielfilm, bei dem sie nach der 2014 in Cannes mit der Camera d´Or als besten Erstlingsfilm ausgezeichneten Teamarbeit "Party Girl" erstmals allein Regie führte, im genauen Blick auf diese Beziehung und im reduzierten Musikeinsatz.


Die Nähe der Kamera, die den ganzen Film bestimmt, erzeugt dabei einerseits Intimität, vermittelt andererseits die Innigkeit dieser Beziehung. Verstärkt wird dies noch durch das enge 4:3-Format, das die beiden Protagonistinnen quasi zusammenschweißt.


Doch dann erhält Gloria die Nachricht, dass auf den Kapverden ihre Mutter gestorben ist. Nicht nur zum Begräbnis muss sie zurück in ihre Heimat, sondern muss sich dort jetzt auch um ihre beiden eigenen Kinder kümmern. Tieftraurig bleibt Cléo zurück, doch der Vater erlaubt ihr, in den Sommerferien ihr Kindermädchen auf der Atlantikinsel zu besuchen.


Nicht nur vom städtischen Milieu in Frankreich auf die von Meer und Natur bestimmte Insel wechselt "Àma Gloria" damit, sondern an die Stelle von Französisch tritt weitgehend kapverdisches Kreol. Nur mit Cléo spricht Gloria weiterhin Französisch.


Sukzessive wird nun sichtbar, wie sich die Abwesenheit Glorias auf ihre Kinder ausgewirkt hat. Keine Beziehung hat der etwa zehnjährige César zu ihr, sieht in ihr nicht seine Mutter und reagiert eifersüchtig auf Cléo, die ihm in seiner Sicht die Mutter weggenommen hat.


Gleichzeitig reagiert auch Cléo eifersüchtig auf César und vor allem auf das Kind, das Glorias Tochter bald gebärt. Stand sie nämlich in Frankreich immer im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit ihres Kindermädchens, so sieht sie sich nun um diese Exklusivität betrogen, muss erkennen, dass nicht mehr sie, sondern das Baby im Mittelpunkt steht.


Mit größtem Feingefühl lotet Amachoukeli Cléos Gefühle aus, die zwischen beglückender und schmerzhafter Zurückweisung und damit verbunden zwischen Freude und Ausgelassenheit und tiefer Traurigkeit schwanken. Durch poetische, mit breitem Strich gemalte Aquarell-Animationen werden die wechselnden Empfindungen des Mädchens mehrfach eindrücklich intensiviert und nach außen gekehrt, wenn diese in kräftigen Farben gehaltenen Bilder zwischen dunklen und helleren Momenten wechseln.


Getragen wird dieses Porträt einer intensiven Beziehung aber von seinen beiden famosen Hauptdarstellerinnen. Unglaublich natürlich spielt Louise Mauroy-Panzani Cléo. Echt wirkt hier jeder Blick, jedes Lachen und jedes Weinen und auch Ilça Moreno Zego lässt die große Liebe zu ihrem Schützling spüren. Wenn am Ende den Tränen dieser Nanny ein letzter Blick Cléos auf dem Flugfeld gegenübersteht, kann einem dieser Abschied, der einer für immer sein wird, das Herz zerreissen.


Doch Amachoukeli macht eben auch die Entfremdung sichtbar, die die lange Abwesenheit von ihrer Heimat bewirkte. So ist "Àma Gloria" nicht nur ein berührender und zutiefst bewegender Film über die Intensität kindlicher Gefühle, sondern auch ein Film über die Folgen von Migration. Auch der autobiographische Einfluss wird dabei am Ende sichtbar, wenn die 45-jährige französische Regisseurin mit einem Insert diese Hommage an Mütter, die ihre Heimat und ihre Familie verlassen, um sich um fremde Kinder zu kümmern, ihrem eigenen, aus Portugal stammenden Kindermädchen Laurinda Correia widmet.

 

 

Àma Gloria Frankreich 2023 Regie: Marie Amachoukeli mit: Louise Mauroy-Panzani, Ilça Moreno Zego, Arnaud Rebotini, Abnara Gomes Varela, Fredy Gomes Tavares Länge: 85 min.


Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino Schaan.



Trailer zu "Àma Gloria"



 

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